EU vor Durchbruch in Finanzstreit mit Polen und Ungarn
Berlin/Brüssel (Reuters) - Die EU steht vor einem Durchbruch im Streit über den billionenschweren EU-Finanzrahmen.
"Wir sind Zentimeter von einem Konsens entfernt", sagte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban am Donnerstag unmittelbar vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel. Auch Jaroslaw Kaczynski, Chef der regierenden nationalkonservativen PiS-Partei in Polen, sagte, dass der von der deutschen EU-Präsidentschaft vorgelegte Kompromiss akzeptabel sei. In Kreisen der EU-Kommission wurde daher die Erwartung geäußert, dass alle 27 EU-Staaten zustimmen würden. Damit wäre der Weg frei für den EU-Haushaltsrahmen bis 2027 mit einem Volumen von gut einer Billion Euro. Außerdem könnte der zusätzliche beschlossene Corona-Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro starten. Diese Hilfen können laut EU-Kommission aber wohl erst ab Mitte 2021 ausgezahlt werden.
Ungarn und Polen hatten die mit dem Europäischen Parlamente ausgehandelten Finanzpakete blockiert, weil sie eine Verknüpfung der Auszahlung von EU-Geld an die Einhaltung von Rechtsstaatsprinzipien ablehnten. Die nationalkonservativ regierten Länder stehen seit Jahren wegen ihres Umgangs mit Justiz und Medien in der Kritik, gegen beide laufen deshalb EU-Verfahren. Der Kompromiss sieht nun vor, dass der Rechtsstaatsmechanismus selbst nicht wieder aufgeschnürt wird. Es wird aber präzisiert, dass die Verknüpfung von Auszahlungen mit Rechtsstaatsprinzipien erst kommen wird, wenn der Europäische Gerichtshof über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden hat. Dies wird für 2022 erwartet. Außerdem wird präzisiert, dass die Klausel nur die Prüfung der Rechtstaatlichkeit bei der Nutzung von EU-Geld vorsieht. Für andere Streitigkeiten etwa über die Justizpolitik eines EU-Mitglieds gibt weiter das sogenannte Artikel-7-Verfahren, das die EU-Kommission bei vermuteten Verstößen gegen Grundprinzipien der EU einleiten kann.
"ES WIRD SICH HEUTE ZEIGEN"
In der EU-Kommission wird betont, dass dies kein Problem sei, weil es ohnehin dauern werde, bis die konkreten Details des Mechanismus ausgearbeitet seien. 2022 ist allerdings auch die nächste Parlamentswahl in Ungarn geplant, bei der Ministerpräsident Orban wieder antreten will.
"Es wird sich heute zeigen, ob wir dann auch eine Einstimmigkeit im Europäischen Rat dafür finden", sagte Kanzlerin Angela Merkel vor dem bis Freitag terminierten Gipfel. Es wäre ein sehr wichtiges Zeichen auch für die Handlungsfähigkeit der EU, wenn dieses wichtige Ergebnis erzielen werden könne. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte, er hoffe, dass der Kompromiss mit Ungarn und Polen zum EU-Haushalt in den kommenden Stunden unter Dach und Fach gebracht werde.
Merkel verwies darauf, dass sich der EU-Gipfel auch auf ehrgeizigere Ziele für die EU-Klimaschutzpolitik verständigen wolle. Der CO2-Ausstoß soll bis 2030 um 55 Prozent reduziert werden. Auch dafür gilt eine Einigung als wichtig, weil Polen Milliarden aus EU-Töpfen braucht, um seine bisher stark von Kohle abhängige Energieversorgung umzustellen.
Die 27 EU-Staats- und Regierungschefs wollen zudem am Abend unter anderem über mögliche Sanktionen gegen die Türkei sowie das transatlantische Verhältnis nach dem Sieg von Joe Biden bei den US-Präsidentschaftswahlen beraten. Auch die Verhandlungen mit Großbritannien über einen Vertrag nach dem Brexit dürften zumindest am Rande eine Rolle spielen.