Expansion mit Pappnase

HANDELSBLATT · Uhr (aktualisiert: Uhr)

„Wenn Aschermittwoch ist, fahre ich erst einmal in Urlaub“, sagt Deiters-Chef Herbert Geiss. Denn kurz vor dem Höhepunkt der jecken Session herrscht der Ausnahmezustand in den Filialen des größten Kostümhändlers im Rheinland. Das Geschäft in der Kölner Innenstadt muss dann sogar regelmäßig wegen Überfüllung kurzzeitig geschlossen werden. Viele Jecken suchen erst auf den letzten Drücker nach einer Verkleidung.

Die letzten Tage der fünften Jahreszeit sind für das Geschäft von Deiters die wichtigsten des Jahres. Pro Session gehen bei der selbsternannten „Nummer Eins im Karneval“ rund 300.000 Kostüme über die Ladentheke. 80 Prozent des Umsatzes macht der Kostümhändler zwischen dem 11.11. und Aschermittwoch.

Unter der Führung des 31-jährigen Geiss ist der Kostümhändler in den vergangenen zehn Jahren in einem stagnierenden Markt massiv gewachsen. Mit gerade einmal 19 Jahren hatte er im Jahr 2003 das Familienunternehmen von seinem Onkel übernommen. Damals bestand Deiters gerade einmal aus einer Filiale in Köln-Marsdorf. Sein Vater war Geschäftsführer, Geiss machte damals noch eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann. „Es gab Tage, da mussten unsere Mitarbeiter sagen: Entschuldigung, der Chef ist noch in der Berufsschule“, erinnert er sich.

Trotz des jungen Alters trifft er eine weitreichende Entscheidung: die Spielwaren streicht er aus dem Sortiment. Eine Entscheidung gegen die Tradition. Denn die Wurzeln von Deiters liegen im Verkauf von Schaustellerbedarf – Teddybären für Losbuden, Kunstrosen für Schießstände. Geiss dagegen setzt voll auf den Karneval, eröffnet eine Filiale am Gürzenich, wo während der Session die großen Karnevalssitzungen stattfinden. Sein Vater ist alles andere als begeistert über die Entscheidung, lässt sich aber überzeugen.

Seitdem wächst Deiters rasant: nahezu jedes Jahr wird eine neue Filiale eröffnen – mittlerweile sind es zehn. Neben Geschäften in Köln betreibt das Unternehmen auch Filialen in Mönchengladbach, Bonn und selbst in Düsseldorf. Und das in einem Markt, der laut Statistik des Verbandes der deutschen Spielwarenindustrie seit Jahren eher stagniert als wächst: 2013 sank der Umsatz mit Kostümen nach Zahlen des Verbandes um 2,3 Prozent auf 286 Millionen Euro. Deiters ist in dieser Statistik allerdings nicht enthalten.

In seine Chefrolle ist der junge Chef mittlerweile hineingewachsen – auch äußerlich. Er trägt Maßanzug, rosa Seidenkrawatte und einen teuren Chronografen von Audemars Pigeut.

Im Oktober 2012 hat Deiters die neue Firmenzentrale in Frechen eröffnet, laut Eigenwerbung das „größte Karnevalskaufhaus der Welt“. Auf 5.000 Quadratmetern werden dort 2.000 verschiedene Kostüme und 20.000 Accessoires verkauft. Allein wer sich als Polizistin verkleiden will, hat die Wahl zwischen fünf verschiedenen Varianten. Bei der Auswahl des Sortiments hat Geiss mittlerweile jahrelange Erfahrung. „Da wird viel aus dem Bauch heraus entschieden“, sagt er.

Klassiker wie Clown und Cowboy seien immer beliebt. Seit dem Hollywood-Film „Fluch der Karibik“ seien auch aufwendige Piratenkostüme immer gefragter. In einer eigenen Designabteilung versucht das Unternehmen die Trends aufzuspüren. Dieses Jahr sind das „Steampunk“-Kostüme – viktorianische Mode mit industriellen Einflüssen. Mit schweren Stoffen und Schweißerbrillen kostet so ein Kostüm von der Stange auch schnell mal 250 Euro.

„Die Scham dem Kostüm gegenüber ist nicht besonders hoch“

Neben dem Filialgeschäft hat Deiters auch einen eigenen Onlinehandel aufgebaut. Wirklich rentabel ist der aber noch nicht. Wie bei anderen Textilhändlern frisst die hohe Rücklaufquote die Marge. Wenn ein Kostüm in Größe 36 und 38 bestellt werde, erzählt Geiss, wisse man schon, dass man bei einem Kostümpreis von 19,95 Euro kaum noch etwas verdienen werde.

Das Geschäft mit Kostümen ist auch eine Frage des Preises: Denn wenn der Kölner Karneval feiert, braucht er mehr als ein Kostüm – und das wird selten pfleglich behandelt. „Die Scham dem Kostüm gegenüber ist nicht besonders hoch“, sagt Geiss. Produziert werden auch die Deiters-Kostüme darum in Fernost, vor allem in China. Er würde gerne eine eigene Produktion in Deutschland aufbauen, sagt Geiss. „Das Problem ist, dass die Kunden für das 'Made in Germany' nicht zahlen“.

Dann könnte man auch die Qualität besser prüfen. Um sicherzugehen, dass auch die Kostüme aus China frei von Schadstoffen sind, lässt Deiters sie vom Bureau Veritas und vom Tüv prüfen. Problematisch sind für Geiss eher Kostüme, die bei Discountern verkauft werden. „Wenn Sie für 6,99 Euro ein Kostüm kaufen, ist alles auf den Cent genau kalkuliert, da ist klar, dass man bei der Qualität Abstriche macht“, sagt Geiss. Wer bei ihm kaufe, schaffe dagegen Arbeitsplätze direkt in Deutschland.

250 Beschäftigte hat sein Unternehmen. Weil der Großteil des Geschäfts allerdings in der fünften Jahreszeit gemacht wird, sind etwa 130 Mitarbeiter nur befristet angestellt. Jedes Jahr werden davon 35 fest übernommen. Ein Grund mehr für Geiss, neben dem Karneval für stabile Einnahmen zu sorgen. Seine Frau Rocsana, die er im vergangenen Jahr geheiratet hat, hat eine eigene Trachtenkollektion entworfen, die deutschlandweit beworben wird und preislich günstiger ist als die Konkurrenz aus München. Das Oktoberfest wird auch in Köln mittlerweile mit bis zu 10.000 Besuchern am Wochenende gefeiert.

Und ein weiterer Trend kommt dem Kostümhändler entgegen: Halloween hält mittlerweile auch im Rheinland Einzug. Dazu hat Deiters selbst beigetragen. In der Kölnarena veranstaltet der Kostümhändler die größte Halloween-Party Deutschlands mit internationalen Größen wie DJ Antoine und Mike Candys. Gewinn macht Deiters damit bisher nicht. „Uns geht es darum, die Scham des Verkleidens zu verringern“, sagt Geiss. Die Party war zwei Jahre in Folge mit 12.500 Zuschauern ausverkauft – 75 Prozent davon kamen verkleidet.

„Keine kölschen Karnevalslieder, niemals Alaaf verwenden“

Trotz des Erfolgs an Halloween: ins Veranstaltungsbusiness will Geiss wohl nicht einsteigen. Er bewegt sich lieber hinter den Kulissen als auf der großen Bühne. Anders als sein Cousin Robert, der mit seiner Frau Carmen in der RTL-II-Serie „Die Geissens“ durch die Welt reist, präsentiert sich Geiss nur öffentlich, wenn es dem Unternehmen dient. Den breitspurigen Auftritt der Verwandtschaft hält er für „zweifelhaft, insbesondere wenn man Kinder hat“. Kontakt haben die beiden seit Jahren nicht mehr.

Umso mehr pflegt Geiss die Kontakte zu den lokalen Karnevalsgrößen. Für kölsche Karnevalsmusiker wie Brings, Bläck Fööss und Marie-Luise Nikuta stellt der Kostümhändler die Bühnenkostüme, einige vertreiben bei Deiters sogar eine eigene Bekleidungslinie. Auch die Mottoschals des Kölner und des Düsseldorfer Festkomittees kommen von Deiters. In einem Karnevalsverein ist Geiss allerdings nicht. Einmal selber Karnevalsprinz sein? „Das sollen die anderen machen“, sagt er.

Wer Kostüme verkauft, bewegt sich durchaus auf diplomatischem Parkett. „Als wir die Filiale in Düsseldorf eröffnet haben, waren wir sehr vorsichtig: bloß keine kölschen Karnevalslieder, niemals Alaaf verwenden“, sagt Geiss. Die traditionelle Rivalität der Rheinmetropolen nahm er sehr ernst – unberechtigterweise, wie sich herausstellte. Nach wenigen Tagen habe die Kundschaft bereits nach Kostümen mit dem Köln-Schriftzug gefragt. Mittlerweile verkaufe man dort mehr Köln- als Düsseldorf-Artikel.

Mit seinem Unternehmen will Geiss auch über das Rheinland hinauswachsen. Mainz steht auf dem Zettel, auch Berlin und Hamburg wären eine Option. Die Zeichen stünden auf Expansion, sagt der Deiters-Chef. „Ich denke, dass wir dieses Jahr noch einige Filialen dazu bekommen“.

Das Interview im Wortlaut finden Sie zum Download im Kaufhaus der Weltwirtschaft unter www.kaufhaus.handelsblatt.com.

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