Grüne ziehen mit Baerbock als Kanzlerkandidatin in Bundestagswahl

Reuters · Uhr (aktualisiert: Uhr)

- von Holger Hansen und Christian Krämer

Berlin (Reuters) - Parteichefin Annalena Baerbock soll die Grünen als Kanzlerkandidatin in die Bundestagswahl Ende September führen.

"Wir beide wollten es, aber am Ende kann es nur eine machen", sagte Co-Parteichef Robert Habeck am Montag in Berlin. Der gemeinsame Erfolg an der Parteispitze führe dazu, dass nun einer einen Schritt zurücktreten müsse. Baerbock sagte, sie sehe ihre Kandidatur "als Einladung, unser vielfältiges, reiches, starkes Land in eine gute Zukunft zu führen". Die 40-jährige Völkerrechtlerin hatte Anfang 2018 gemeinsam mit Habeck den Parteivorsitz übernommen. Ihre Strategie, über das Kernthema Klimaschutz hinaus breitere Bevölkerungsschichten anzusprechen, zahlte sich mit einem deutlichen Anstieg der Umfragewerte aus.

Erstmals in ihrer über 40-jährigen Geschichte ziehen die Grünen mit dem Anspruch in die Wahl, stärkste Partei im Bund zu werden. In Umfragen liegen sie bei 20 bis 23 Prozent und damit nur wenige Prozentpunkte hinter der Union und deutlich vor der SPD. Auch angesichts der Zerstrittenheit in der Union rechnen sich die Grünen gute Chancen aus, die Nachfolgerin von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu stellen. Die CDU-Politikerin tritt nach 16 Jahren im Amt bei der Bundestagswahl am 26. September nicht mehr an. "Wir kämpfen um das Kanzleramt", sagte Habeck. "Die Union ist in Reichweite."

Die SPD hatte bereits im Sommer 2020 Finanzminister Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten erklärt. In der Union ist noch umstritten, ob CDU-Chef Armin Laschet oder CSU-Chef Markus Söder die Schwesterparteien anführen soll. Beide beanspruchen die Kanzlerkandidatur.

BAERBOCK: POLITIK FÜR DIE BREITE GESELLSCHAFT

"Ich trete an für Veränderung. Für den Status Quo stehen andere", sagte Baerbock unter Verweis darauf, dass sie über keine Regierungserfahrung verfüge. Die Grünen stünden für eine Politik für die Breite der Gesellschaft. Es seien Veränderungen nötig - für ein gerechtes Land, in dem Kitas und Schulen "die schönsten Orte sind". Pflegekräfte müssten die Zeit und die Ressourcen haben, sich um die Menschen zu kümmern. Es gehe um einen Staat, der digital funktioniere und seinen Bürger diene, um eine wehrhafte Demokratie im Herzen Europas. Es gehe um einen Klimaschutz, der auch Pendler auf dem Land, Alleinerziehende mit geringem Einkommen und Industriearbeiter mitnehme.

Die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur der Grünen machten Baerbock und Habeck geräuschlos unter sich aus. Dieses Verfahren war im vorigen Jahr vereinbart worden. Ein Bundesparteitag vom 11. bis 13. Juni soll die Kanzlerkandidatur und das bereits vorgelegte Wahlprogramm endgültig beschließen. Bei der Bundestagswahl 2017 waren die Grünen mit 8,9 Prozent nur die kleinste von sechs Fraktionen im Bundestag geworden.

In Umfragen zur Kanzlerkandidatur wurde Baerbock zuletzt für geeigneter gehalten, vor allem bei Anhängern der Partei hatte sie einen klaren Vorsprung. Baerbock hatte in den vergangenen Jahren an Popularität und Ansehen deutlich zugelegt und zum 51-jährigen Habeck aufgeschlossen. Anders als der Schriftsteller, der sechs Jahre Umweltminister in Schleswig-Holstein war, kann Baerbock aber keine Regierungserfahrung vorweisen. Baerbock wurde in Hannover geboren und lebt mit ihrem Mann und zwei kleinen Töchtern in Potsdam. In früheren Jahren war sie in der Europapolitik aktiv. Nach ihrem ersten Einzug in den Bundestag 2013 machte sie sich einen Namen als klimapolitische Sprecherin der Fraktion.

Bei den Grünen herrscht Zuversicht, dass die Geschlossenheit sowohl der Partei als auch der beiden Parteivorsitzenden unter der Zuspitzung des Wahlkampfes auf die Kanzlerkandidatin nicht leidet. Habeck und Baerbock agierten als Parteivorsitzende von Beginn an als Team und unterstrichen dies durch einen gemeinsamen Büroleiter. Beide stimmen sich eng ab, bevor sie an die Öffentlichkeit gehen. Sie gehören zu den Realpolitikern, die für einen pragmatischen Kurs stehen. Vom linken Parteiflügel werden aber keine Querschüsse erwartet - auch namhafte Linken-Vertreter wie Jürgen Trittin unterstützen die Kanzlerkandidatur.

Auch der Wunsch, nach 16 Jahren in der Opposition wieder an die Regierung zu kommen, dämpft die innerparteiliche Streitlust. Rückenwind kommt von der Mitgliedschaft: Allein 2020 legten die Grünen um fast 11.000 auf über 107.000 Mitglieder zu. Das sind über 40.000 Mitglieder mehr als im Wahlkampf 2017. Vielerorts werden die Neumitglieder als pragmatischer und kompromissorientierter wahrgenommen als die alte Garde. Ihr Wahlkampfbudget erhöhen die Grünen für die Bundestagswahl auf über zehn Millionen Euro von rund sechs Millionen Euro 2017.

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