Hilfspaket der Koalition umstritten - "Erfolg" oder "Geldausgeben mit Gießkanne"

Reuters · Uhr

- von Holger Hansen und Andreas Rinke und Reinhard Becker

Berlin (Reuters) - Mit ihrem neuen Hilfspaket im Kampf gegen die Viruskrise stößt die große Koalition bei Arbeitgebern eher auf Kritik und erntet Lob der Gewerkschaften.

Im Fokus stehen dabei das höhere Kurzarbeitergeld und Steuererleichterungen, die die Spitzen von CDU, CSU und SPD in der Nacht zum Donnerstag beschlossen. Das gesamte neue Hilfspaket ist laut SPD-Chef Norbert Walter-Borjans zehn Milliarden Euro schwer. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer kritisierte die Entscheidung, das Kurzarbeitergeld stufenweise zu erhöhen und sprach von einem "Geldausgeben mit der Gießkanne". DGB-Chef Reiner Hoffmann feierte die beschlossene Anhebung hingegen als "Erfolg, für den sich die Gewerkschaften in den letzten Wochen starkgemacht" hätten.

Das Kurzarbeitergeld sei ein wichtiger Teil des Sozialstaats, sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Anders als in den USA gebe es deswegen hierzulande nicht innerhalb weniger Wochen 20 Millionen neue Arbeitslose, so der SPD-Politiker: "Es wird noch krisenfester gemacht." Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus beanspruchte für die CDU, sie habe angesichts kostenträchtiger Wünsche von CSU und SPD "aufgepasst, dass die ganze Sache finanziell nicht aus dem Ruder läuft".

Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder pochte nach Angaben aus Koalitionskreisen bei den Verhandlungen auf eine Steuererleichterung für die Gastronomie. "Wir wollten mehr, aber das ist ein Anfang", twitterte Söder zur Vereinbarung. Sie sieht vor, dass der Mehrwertsteuersatz für Restaurantspeisen vom 1. Juli 2020 bis zum 30. Juni 2021 von 19 auf sieben Prozent gesenkt wird. Das sei eine Entlastung von etwa vier Milliarden Euro.

Die Grünen kritisierten die Gastronomiehilfen als unwirksam. Der ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann sieht dies anders: "Die befristete Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie bietet den Unternehmen eine Perspektive, durch eigene Bemühungen wieder finanziell auf die Beine zu kommen." Die Regierung müsse aber strikt darauf achten, dass aus Krisenmaßnahmen keine Dauerprivilegien würden.

Der Chef des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), Guido Zöllick, sieht die Mehrwertsteuersenkung denn auch nur als wichtigen Etappensieg: "Insbesondere begrüßen wir, dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sich vehement für die sieben Prozent eingesetzt hat und dies auch weiterhin als unbefristete Regelung durchsetzen will."

Laut SPD-Chef Walter-Borjans entfallen bei dem neuen Hilfspaket knapp fünf Milliarden auf die Mindereinnahmen für die gesenkte Mehrwertsteuer und etwa vier Milliarden Euro für den vereinfachten Verlustrücktrag von kleinen und mittleren Unternehmen. Diesen Betrieben soll damit die pauschale Verrechnung absehbarer Verluste in diesem Jahr mit Steuervorauszahlungen aus dem Jahr 2019 ermöglicht werden. Sie erhalten so Erstattungen von den Finanzämtern, was ihnen Liquidität verschafft. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) nannte den Beschluss sehr gut: "Wir wollen unseren Unternehmen, von denen viele derzeit wegen der Corona-Krise um ihr Überleben kämpfen, keine unnötigen Mühlsteine um den Hals hängen."

Walter-Borjans bezifferte die Mehrausgaben für die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes auf eine Milliarde Euro und die ebenfalls beschlossene Unterstützung des digitalen Unterrichts für Schüler auf 500 Millionen Euro. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sowie CSU-Chef Söder sprachen in der Nacht von schwierigen Verhandlungen, aber einem guten Kompromiss. Die Senkung der Mehrwertsteuer war in der SPD als "vollkommen falsch" abgelehnt worden. Die Sozialdemokraten bestanden ihrerseits auf einer Erhöhung des Kurzarbeitergeldes.

"DEUTLICHE SOZIALPOLITISCHE SCHIEFLAGE"

Im Detail soll das Kurzarbeitergeld - gestaffelt nach der Bezugsdauer - auf bis zu 80 Prozent und für Eltern auf bis zu 87 Prozent erhöht werden. Derzeit zahlt die Bundesagentur für Arbeit (BA) bei Kurzarbeit 60 Prozent und für Eltern 67 Prozent des Lohnausfalls. Die Koalition macht die Erhöhung abhängig von der Dauer der Zwangspause und davon, dass mindestens 50 Prozent der regulären Arbeitszeit ausfallen. Ab dem 4. Monat werden künftig 70 oder 77 Prozent (Eltern), ab dem 7. Monat 80 oder 87 Prozent des Lohnausfalls gezahlt.

Einfach die Prozentzahlen hoch zu setzen, sei keine gute Lösung für Geringverdiener, kritisierte die Arbeitsmarkt-Expertin Anke Hassel. Wer Mindestlohn bekomme und nun über erhöhtes Kurzarbeitergeld 80 Prozent davon erhalte, "der steht immer noch davor Hartz IV beziehen zu müssen", sagte die Forscherin von der Berliner Hertie School. Sie hätte sich vom Koalitionsausschuss lieber einen Sockelbetrag gewünscht wie in Frankreich, wo beim Kurzarbeitergeld auf jeden Fall das Niveau des Mindestlohns gezahlt werde.

Kritik kam auch vom Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Hans Peter Wollseifer, für den die Koalitionsbeschlüsse eine "deutliche sozialpolitische Schieflage" offenbaren: "Nicht sozial gerecht ist, dass Inhaber kleiner Betriebe im Extremfall direkt Arbeitslosengeld II beanspruchen müssen. Wirtschaftliche Maßnahmen für die, die den Neustart gestalten und schultern müssen, also Unternehmen und Betriebe, kommen zu kurz", klagte der ZDH-Chef.

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