Nie wieder Zinsen?

Jessica Schwarzer · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Die Hoffnung auf eine Zinswende in Europa gab es gar nicht erst. In den USA sehen wir schon die Wende nach der Wende. Gibt es jemals wieder Zinsen? Fast nicht mehr vorstellbar.

Diese Aussage ist mehr als deutlich: „Die Märkte erwarten Nullzinsen für immer“, sagt Michael Krautzberger, Anleihespezialist bei Blackrock, in einem aktuellen Interview. Immerhin schickt er noch ein „etwas überzogen könnte man sagen“ vorweg. Doch wie überzogen ist diese Aussage wirklich? Die Null- und Niedrigzinspolitik scheint die neue Normalität zu sein. Zumindest ist ein Ende der ultralockeren Geldpolitik nebst negativer Renditen an den Anleihemärkten nicht abzusehen.

Von den Zentralbanken wird in diesen Tagen eine neuerliche Lockerung erwartet. Diese Woche ist EZB-Ratssitzung, kommende Woche folgt die US-Notenbank Fed. Vermutlich beschließt die EZB am Donnerstag ein weiteres Maßnahmenpaket, um die Konjunktur anzukurbeln. Und von der Fed wird eine weitere Zinssenkung erwartet. Zumindest preisen die Märkte all das bereits ein, wie es immer so schön heißt. David Lafferty, Chefstratege des Investmenthauses Natixis Investment Managers gibt allerdings zu bedenken, dass die Märkte zu viel von der Geldpolitik erwarten. Er selbst erwartet zwar einen „weiteren geldpolitischen Stimulus“, aber dieser werde die Märkte wahrscheinlich enttäuschen. Wird der Stimulus also eher eine homöopathische Wirkung haben?

Die Frage ist sowieso, was das alles überhaupt noch bringt. Führen noch niedrigere Zinsen dazu, dass Verbraucher und Firmenbosse Kredite aufnehmen? Nehmen wir mal an, die Privaten sind verunsichert, haben Angst um die Wirtschaft und vielleicht auch um ihre Jobs. Dass sie dann Konsumentenkredite aufnehmen oder noch mehr Immobilien finanzieren, darf bezweifelt werden. Und die Konzernchefs werden auch eher vorsichtig agieren, sollten sie mit einer Rezession rechnen.

Die EZB sieht das scheinbar anders. Schon vor Jahren hat sie den Satz für kurzfristige Einlagen der Banken in den negativen Bereich gesenkt, derzeit liegt er bei minus 0,4 Prozent. Das soll Finanzinstitute dazu bewegen, mehr Kredite zu vergeben. In dieser Woche wird die EZB den Einlagensatz wohl noch weiter senken. Experten erwarten, dass es weitere zehn bis 20 Basispunkte abwärts geht. Für wahrscheinlicher halten sie eine Senkung von zehn Basispunkten, schließlich will die EZB ihr Pulver noch nicht komplett verschießen. Zudem wäre der Schaden für die Banken und institutionellen Anleger weniger groß.

Auch ihre Anleihekäufe will die EZB offenbar wieder aufnehmen. Zumindest rechnen die Märkte mit einer Fortsetzung des „Quantitative Easing“-Programms. Schon jetzt beläuft sich das Volumen der von der EZB finanzierten Staats- und Unternehmensschulden auf mehr als 2,6 Billionen Euro. Die Notenbank hält damit ein Drittel der Staatsschulden im Euro-Raum. Natürlich drückt auch diese Nachfrage die Renditen. Schon heute ist die Rendite von zwei Drittel aller europäischen Bonds negativ. In den USA und anderswo auf der Welt sieht es kaum besser aus. Das Volumen der negativen Staatsanleihen weltweit beträgt 15,6 Billionen US-Dollar, fast jede dritte Staatsanleihe wirft damit negative Renditen ab.

Der sichere Zins ist negativ

Für konservative Anleger und vor allem für institutionelle Investoren wie Versicherer, Pensionskassen und Co. wird das „Leben“ nicht leichter. Blackrock-Experte Krautzberger hält es im „Handelsblatt“-Interview übrigens zumindest nicht für irrational, wenn institutionelle Investoren Geld in Anleihen investieren, deren Renditen vergleichsweise gering im Minus liegen. Übersetzt: Lieber minus 0,2 Prozent als minus 0,5 oder 0,6 Prozent. Positive Rendite erzielen Bonds-Investoren fast nur noch über Kursgewinne oder wenn sie stärker ins Risiko gehen. Wer die Papiere aber jetzt kauft und bis zur Fälligkeit hält, macht trotz Zinszahlungen Verluste. Der sicherer Zins ist negativ und noch nicht mal mehr bei Null. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen – als Gratmesser – liegt bei minus 0,6 Prozent.

Im August hat die Bundesrepublik sogar eine 30-jährige Bundesanleihe zu einem Kupon von null Prozent begeben. Kein Wunder, dass sich Bonds-Anleger fragen, wie weit es mit den Zinsen noch nach unten gehen kann - und was das für ihr Portfolio bedeutet. „Rentenportfolien haben extrem schlechte Ertragserwartungen“, sagt Reinhard Panse. Der Chief Investment Officer von HQ Trust geht in seinem Basisszenario bei Anleiheportfolien von einem langfristigen realen Ertrag von minus fünf Prozent aus. Der Hintergrund: „Obwohl am Horizont die Inflationsgefahren spürbar zunehmen, diskutiert alle Welt über Deflationsrisiken.“ Keine schönen Aussichten für konservative Anleger.

Nur wie lange kann all das noch so weiter gehen? Ist die ultralockere Geldpolitik der Notenbanken wirklich die neue Normalität und es gibt nie wieder Zinsen, also zumindest nicht bei Papieren halbwegs solventer Schuldner? Oder steuern wir auf einen gigantischen Knall zu? Nicht wenige Experten warnen vor Preisblasen, und zwar nicht nur am Aktien- und Immobilienmarkt sondern vor allem am Anleihemarkt? Die Zeit wird die Antworten auf diese Fragen geben. Fakt ist: Wir erleben ein gigantisches und nicht ungefährliches geldpolitisches Experiment – Ausgang offen. Als Anleger müssen wir uns mittelfristig aber auf jeden Fall darauf einstellen, dass es keine Zinsen mehr gibt und die Renditen an den Anleihemärkten nicht mehr durch „Buy and Hold“ eingefahren werden, sondern durch (zwischenzeitliche) Kursgewinne. Hier ist aktives Handeln gefragt.

Foto: Noska Photo / Shutterstock.com

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