Panikreaktion dient als klares Zeichen!

Holger Scholze · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Schwerer Job

Können wir den Aussagen von Notenbankern noch vertrauen? Sie haben gewiss keinen leichten Job und tragen eine große Verantwortung. Gerade deshalb drücken sie sich ja oft so verklausuliert aus und überlassen die Interpretation des Gesagten den Marktteilnehmern. Das hat den Vorteil, später behaupten zu können, dass dieses oder jenes ganz anders gemeint gewesen wäre. Es birgt aber auch die Gefahr einer krassen Fehldeutung mit unerwünschten Auswirkungen.

Berechenbarkeit als Strategie

Seit geraumer Zeit sind die Währungshüter weltweit dazu übergegangen, vergleichsweise klare Worte zu sprechen, um ganz bewusst berechenbarer zu werden. Als Beispiel soll hier die US-Notenbank (Fed) dienen, die seit Monaten ihre absehbar geplanten Maßnahmen ankündigt, damit sich die Finanzexperten darauf einstellen können. Dies funktioniert erstaunlich gut. Größere Überraschungen bleiben dadurch aus und die Marktreaktionen sind nicht allzu heftig, wenn die jeweiligen Maßnahmen dann tatsächlich verkündet werden. Wir diskutieren zwar seit Wochen darüber, wann die Fed die erwartete Zinswende in den USA einleiten werde, aber da die gebildeten Menschen rund um Janet Yellen dies selbst noch nicht wissen, sondern sich ganz behutsam und geduldig an ihren Indikatoren orientieren, ist dies letztlich kein Widerspruch.

Schweizer Fiasko

Doch was da vor einer Woche in der Schweiz geschah, war ein regelrechtes Fiasko. Die Entscheidung der Schweizer Nationalbank (SNB) hat schwerwiegende Folgen. Nicht nur wegen des Beschlusses selbst, sondern vor allem wegen des massiven Vertrauensbruchs. Doch was war geschehen?

Erst am 5. Januar 2015 lief eine hoch interessante Meldung über die Ticker. Nach den Worten des Schweizer Notenbankchefs Thomas Jordan sei demnach die vor mehr als drei Jahren festgesetzte Euro-Kursuntergrenze von 1,20 Schweizer Franken (CHF) weiterhin unverzichtbar! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen...

Weiter hieß es, dass der Mindestkurs absolut zentral sei, um adäquate, richtige monetäre Bedingungen für die Schweiz aufrechtzuerhalten. Die Deflationsrisiken hätten deutlich zugenommen. Eine Aufwertung des Frankens würde zwangsläufig zu mehr negativer Inflation führen oder eben sogar zu Deflation.

Die SNB könne weiterhin unbeschränkt Devisen kaufen, um den Mindestkurs zu verteidigen, erklärte Jordan. Die Mitte Dezember angekündigten Negativzinsen auf Einlagen von Banken bei der Zentralbank sollen das unterstützen. Der Euro wurde an diesem Tag übrigens zu Kursen um 1,2015 CHF gehandelt.

„Finanz-Tsunami“

Nur zehn Tage später, am 15. Januar 2015, gab die Schweiz die Bindung des Franken an den Euro überraschend auf und löste damit an den Finanzmärkten panikartige Szenen aus. Es folgte der größte Absturz in der Geschichte der Gemeinschaftswährung! So krachte der Euro zum Franken in der Spitze um 30 Prozent auf bis zu 0,85 CHF ab. Zeitweise drohten sogar die elektronischen Handelssysteme des Devisenmarktes zu kollabieren. Nicht wenige Börsianer sprachen von einem „Finanz-Tsunami“

Die offizielle Erklärung der SNB hatte man so formuliert:

„Der Mindestkurs wurde in einer Zeit der massiven Überbewertung des Frankens und größter Verunsicherung an den Finanzmärkten eingeführt. Der Franken bleibt zwar hoch bewertet, aber die Überbewertung hat sich seit Einführung des Mindestkurses insgesamt reduziert.“

Das ist alles so weit verständlich. Aber warum dieser plötzliche Beschluss? Zumal zehn Tage zuvor davon nicht im Ansatz die Rede war. Ganz im Gegenteil, die Rhetorik war wie oben beschrieben unmissverständlich. Tatsächlich scheint es doch eher eine Art Notbremse gewesen zu sein...

Das Dilemma der Schweiz

Die Schweizer Nationalbank musste seit mehr als drei Jahren jede noch so waghalsige Aktion der Europäischen Zentralbank (EZB) mittragen. Zudem haben wohl auch immer wieder milliardenschwere Spekulanten versucht, den Euro-Mindestkurs anzugreifen. Auch dagegen musste sich die SNB erwehren. Bei einem Blick auf die Bilanzsumme der Notenbank ist zu erkennen, dass sich diese seit Beginn der Maßnahmen im Jahr 2011 gigantisch aufgebläht hat. Mit 525,3 Milliarden Franken ist sie mehr als drei Mal so groß wie 2008. Inzwischen entspricht die Bilanzsumme 85 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Schweiz. Außerdem hat die SNB nun haufenweise Euro in ihrem Besitz. Nach dem Kursrutsch der Gemeinschaftswährung dürften die Verluste hier ebenfalls enorm sein. Dies zeigt natürlich auch, dass selbst Notenbanken nicht allmächtig sind.

Überstürzte Aktion hat wichtigen Grund

Der Zeitpunkt der Abkoppelung kann nicht zufällig gewählt worden sein. Ich gehe davon aus, dass führende Notenbanker in der Welt intensiv miteinander in Kontakt stehen. Und dabei wird auch die Führungsspitze der Schweizer Nationalbank erfahren haben, was die Europäische Zentralbank vorhat. Und das muss etwas wirklich Großes sein! Wir dürfen also getrost annehmen, dass die heute vom EZB-Rat zu beschließenden Maßnahmen monströs ausfallen werden. In dem Wissen darum, haben die Schweizer lieber schon eine Woche vorher die Notbremse gezogen... Um 13:45 Uhr sind wir schlauer! Schnallen Sie sich an!

Alle Augen und Ohren mal wieder auf Mario Draghi!

Natürlich haben die Sprecher der EZB auch gestern alle Spekulationen und Medienberichte unkommentiert gelassen. Aber die Gerüchte klingen durchaus glaubwürdig. Unbegreiflich ist mir aber, dass überhaupt Informationen von „mit der Situation vertrauten Personen“ durchsickern. Das finde ich ungeheuerlich! Die heftigen Schwankungen des Marktes am Mittwoch waren das Ergebnis dieser Indiskretionen. Demnach plane der EZB-Rat Anleihen-Käufe in einem Volumen von monatlich 50 Milliarden Euro über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr. Das EZB-Direktorium habe am Dienstag über diesen Vorschlag beraten, der als Vorlage für die Diskussionen im EZB-Rat dienen solle. Die endgültigen Zahlen könnten sich also noch ändern. Angeblich sollen die Anleihen-Käufe nicht vor dem März starten.

Der Co-Chef der Deutschen Bank, Anshu Jain, sagte am Mittwoch auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, dass der Markt ein Gesamtvolumen von 750 Milliarden Euro erwarte. Die schon kaum vorstellbare Summe von 500 Milliarden Euro wäre Jain zufolge bereits eine leichte Enttäuschung. Eine Billion Euro wäre eine „positive Überraschung“. Legen Sie sich also Ihren Taschenrechner bereit! Denn die Reaktionen an der Börse werden blitzschnell folgen.

Aber unabhängig davon, wie hoch die Summe letztlich ist und wie die kurzfristigen Bewegungen ausfallen, wird der heutige Beschluss der EZB dem DAX im Jahresverlauf weiteren Auftrieb geben.

Ihr Holger Scholze

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