Rohöl mit Kurskapriolen

Bernd Raschkowski · Uhr

Solche Sprünge habe ich selten gesehen: Der Ölpreis notierte gestern zweitweise mit einem Plus von 30 Prozent. Sowohl die amerikanische Sorte WTI als auch die europäische Öl-Sorte Brent verzeichneten damit das kräftigste Tagesplus seit vielen Jahrzehnten. Auch heute klettert der Rohstoff weiter nach Norden.

Aber natürlich muss man den heftigen Anstieg im Kontext sehen. Öl verlor in den vergangenen Wochen rund zwei Drittel an Wert- es handelt sich also um eine Gegenbewegung nach den vorherigen Verlusten.

Crash am Ölmarkt

Seit 12 Wochen befanden sich die Ölpreise unter massivem Verkaufsdruck. Zum Jahreswechsel notierten die Energieträger noch oberhalb von 60 Dollar, Ende März waren es nur noch rund 20 Dollar für die Sorte WTI. Zwei Belastungsfaktoren sorgten für den seltenen Kursrutsch. Das ausgeweitete Angebot seitens einiger Ölstaaten sowie die eingebrochene Nachfrage aufgrund der Corona-Krise.

Ein Barrel Öl der Nordseesorte Brent kostet derzeit 33,54 US-Dollar. Der Preis für die amerikanische Sorte WTI stieg auf 27,23 Dollar je Barrel (159 Liter).

In der folgenden Abbildung ist die Entwicklung des Öls der US-Sorte WTI seit Januar dargestellt (in US-Dollar je Barrel, eine Kerze entspricht einem Tag):

Technische Gegenbewegung erfolgt

Nach dem historischen Crash am Ölmarkt hat die Gegenbewegung lange auf sich warten lassen. Erst in der laufenden Woche war es soweit. Für leichten Auftrieb sorgten zum Wochenbeginn die neuesten Wirtschaftsdaten zur chinesischen Industrie, welche sich nach der Corona-Krise wieder stabilisiert haben. Nach dem Einbruch der Wirtschaftsleistung im Januar und Februar sprang der offizielle Einkaufsmanagerindex (PMI) der chinesischen Industrie für den März von 35,7 auf 52 Punkte hoch. Ein Index über der kritischen Grenze von 50 Punkten deutet auf eine positive Stimmung in der Wirtschaft hin.

Gestern sorgte dann Donald Trump mit der Andeutung einer Förderkürzung für stark steigende Notierungen. Der Preiskrieg zwischen Saudi-Arabien und Russland könnte nach Expertenmeinung beendet werden. Allerdings bröckelten die Kurse nach einem Dementi der russischen Regierung wieder ab. Dennoch: Es ist Bewegung in den Ölmarkt gekommen, eine Abmachung der erdöl-exportierender Länder bezüglich einer Förderkürzung wird wahrscheinlicher.

Nachfrage bleibt extrem schwach

Grundsätzlich dürfte die Wirtschaftsflaute aufgrund der Corona-Pandemie weiterhin den Ölpreis belasten. Daran dürfte auch eine mögliche Förderkürzung nichts ändern. Es gibt Schätzungen, wonach derzeit 35 Millionen Barrel pro Tag weniger nachgefragt werden. Eine Reduzierung der Ölförderung um 8 bis 12 Millionen Barrel pro Tag, wie sie momentan diskutiert wird, wird den Ölpreis nicht wieder auf das ursprüngliche Niveau heben.

Insofern ist der jüngste Anstieg des Energieträgers eher als technische Gegenreaktion zu sehen. Mittelfristig können neue Tiefstkurse des Rohstoffs nicht ausgeschlossen werden. Bis der Ölpreis nachhaltig nach oben dreht, müsste die Corona-Krise ein Ende finden und die wirtschaftliche Nachfrage wieder massiv anziehen. Auf nextmarkets.com verfolge ich die Entwicklung und gebe mögliche Trading-Ideen bekannt.

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