Sechs Tote in Beirut - Spannungen im Libanon eskalieren

Reuters · Uhr

Beirut (Reuters) - Im Libanon ist der Streit über die Aufarbeitung der verheerenden Explosion in Beirut zu den schwersten Kämpfen seit 2008 eskaliert.

Dabei wurden am Donnerstag in der Hauptstadt sechs Menschen getötet, Dutzende verletzt. Militärkreisen zufolge brach ein offenes Feuergefecht aus, als Anhänger der schiitischen Hisbollah-Miliz auf dem Weg zu einer Protestkundgebung einen Kreisverkehrsplatz erreichten und dort von einem Christen-Viertel aus unter Beschuss genommen wurden. Über Stunden hinweg waren Schüsse und mehrere Explosionen zu hören, wie Reuters-Mitarbeiter berichteten. Die Armee rückte schließlich mit einem Großaufgebot an und drohte, auf jeden Bewaffneten, der sich auf der Straße befinde, zu erschießen.

Die Hisbollah-Anhänger waren auf dem Weg zum Justizpalast, als die Gewalt ausbrach. Sie wollten dort eine Absetzung des Richters fordern, der mit dem Fall der Hafen-Explosion vom August 2020 betraut ist. Als die Menge jedoch den Verkehrsknotenpunkt, der christliche und schiitische Stadtviertel voneinander trennt, erreichte, fielen Militärkreisen zufolge zunächst Schüsse aus dem Christen-Viertel Ain el-Remmaneh. Schließlich sei daraus ein Schusswechsel geworden. Nach Angaben der Hisbollah eröffneten bewaffnete Gruppen von Dächern aus das Feuer auf die Demonstranten. Es sei auf Köpfe gezielt worden. Bei den Toten soll es such um Schiiten handeln.

Ministerpräsident Najib Mikati rief zur Ruhe auf und kündigte für Freitag eine Trauerfeier an. Präsident Michel Aoun erklärte, die Täter würden zur Rechenschaft gezogen. Die Armee nahm neun Verdächtige fest. Kuwait reif seine Bürger auf, den Libanon zu verlassen. Die USA und Frankreich forderten, es müsse der Justiz ermöglicht werden, ein unabhängiges Ermittlungsverfahren zu führen. Die Eskalation trifft den Libanon inmitten einer schweren Wirtschaftskrise und in dem Bemühen um internationale Hilfen. Über drei Viertel der Libanesen leben in Armut. Der Konflikt hat nun ein solches Ausmaß angenommen, dass er zunehmend die Aufmerksamkeit der gerade erst neu angetretenen Regierung bindet.

Der Hisbollah-TV-Sender Al-Manar berichtete, "zwei Märtyrer" und mehrere Verletzte seien in ein Krankenhaus in einem schiitischen Vorort gebracht worden. Militärkreisen zufolge war eine Frau unter den Getöteten. Sie sei in ihrer Wohnung an einer Schussverletzung gestorben.

Die politischen Spannungen im Zusammenhang mit den Ermittlungen rund um die Hafen-Explosion, bei der im vergangenen Jahr 200 Menschen ums Leben gekommen und unzählige Hafen- und Wohngebäude zerstört worden waren, hatten sich zuletzt immer weiter hochgeschaukelt. Die irannahe Hisbollah, von der selbst keine Mitglieder Ziel der Untersuchung sind, wirft Richter Tarek Bitar vor, befangen zu sein und nur bestimmte Personen ins Visier zu nehmen. Bitar will eine Reihe hochrangiger Politiker und Sicherheitsbeamter, darunter auch wichtige Verbündete der Hisbollah, befragen. Sie werden verdächtigt, durch fahrlässiges Verhalten die durch Unmengen an gelagertem Ammoniumnitrat verursachte Explosion ermöglicht zu haben. Alle Betroffenen haben ein Fehlverhalten ihrerseits bestritten. Eine Klage gegen Bitar wiederum wurde am Donnerstag von einem Gericht abgewiesen, wie aus Justizdokumenten hervorging. Er darf damit seine Ermittlungen fortsetzen.

(Reporterinnen: Maha El Dahan, Alaa Kanaan, Laila Bassam; geschrieben von Christian Rüttger und Hans Busemann; redigiert von Scot W. Stevenson bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter den Telefonnummern 030 2201 33711 (für Politik und Konjunktur) 030 2201 33702 (für Unternehmen und Märkte)

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