Über Rezessionen, Bärenmärkte und wie man sich darauf vorbereiten sollte

Bernd Schmid · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Am Montag sind die Werte der Einkaufsmanager-Indizes (EMI) für Deutschland im September veröffentlicht worden. Hier ist der Vergleich der September-Zahlen (gelb) mit den ursprünglichen Erwartungen (rot) und den Zahlen im August (blau) für den EMI des verarbeitenden Gewerbes (links), der Dienstleistungen (mitte) und insgesamt (rechts).


Datenquelle: Trading Economics

Alle drei haben sich verschlechtert (Vergleich gelbe und blaue Balken) und sich auch schlechter entwickelt, als vorher erwartet (Vergleich gelbe und rote Balken). Während der Dienstleistungs-EMI sich noch immer auf Expansionsniveau befindet (über 50 bedeutet Expansion, unter 50 bedeutet Kontraktion), ist der EMI des verarbeitenden Gewerbes weiter auf noch viel deutlicheres Kontraktionsniveau gesunken.

Damit ist die Wahrscheinlichkeit einer Rezession stark gestiegen. Der Ökonom, Investment-Stratege und ehemalige Hedge-Fonds-Manager Raoul Pal beziffert die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den USA sehr genau. Auf Basis historischer Daten des EMI für das verarbeitende Gewerbe in den USA liegt diese laut Pal bei einem EMI von 50 bei 65 %, bei einem EMI von 47 bei 80 % und direkt 100 % bei einem EMI von 46. (es sind natürlich weniger als 100 %, aber historisch gab es bei Unterschreitung dieses Werts bisher in jedem Fall eine Rezession).

Da kann man nachvollziehen, dass einige Ökonomen davon ausgehen, dass wir uns in Deutschland bereits in einer Rezession befinden.

Ist daher jetzt der Zeitpunkt gekommen, seine Aktien zu verkaufen, den Sturm abzuwarten und dann wieder einzusteigen?

Die Antwort ist ein klares „nein“, denn Bärenmärkte an den Börsen und Rezessionen hängen nur bedingt miteinander zusammen.

Rezessionen und Bärenmärkte

Die folgende Grafik suggeriert, dass es doch eine starke Korrelation zwischen den Zeitpunkten von Allzeithochs im S&P 500 (viele der blauen Pfeile in der folgenden Grafik) und den Zeitpunkten von US-Rezessionen (die grauen Balken) gibt.

Quelle: Banyan Hill

Diese augenscheinliche Übereinstimmung hilft uns Anlegern jedoch nicht wirklich weiter. Denn wenn wir genauer hinschauen, ist die Aussagekraft dieser Korrelation sehr limitiert.

Zum einen sehen wir hier nur die letzten zehn US-Rezessionen und die Entwicklung des S&P 500 seit 1950. Wer sich mit der Historie beschäftigt, stellt fest, dass das Hoch vor der ersten in der Grafik ersichtlichen Rezession (1953) noch unter dem vorherigen Hoch des US-Aktienmarktes im Jahr 1929 lag. Das war ein sehr fieser Bärenmarkt, der mit der Großen Depression Ende der 1920er begann. In Summe verschlang dieser satte fünf Rezessionen, ohne neue Allzeithochs zu erreichen.

Aber selbst wenn man das ignoriert und nur den Zeitraum seit 1950 betrachtet, sieht man in den Zwischenräumen zwischen den Rezessionen ähnliche Kursabstürze, denen aber vor der Erklimmung neuer Hochs keine Rezession folgte (siehe zweimal in den 1960ern, einmal in den 1980ern und einmal in den 2010ern). Daher auch die treffende Aussage: Der Aktienmarkt hat zehn der letzten sieben Rezessionen vorhergesagt.

Und auch wenn man das ignoriert, ist der Aktienmarkt trotzdem ein unglaublich schlechtes Werkzeug, um eine Rezession vorherzusagen. In acht Fällen erreichte der Aktienmarkt zwar ein neues Allzeithoch kurz vor einer Rezession. Allerdings passierte dies zwischen 0 und 12 Monaten vor der Rezession - und im Grunde alles dazwischen.

Und es gab historisch praktisch keine Korrelation zwischen:

- der Tiefe einer Rezession und der Tiefe des die Rezession „begleitenden Bärenmarktes“

- der Dauer einer Rezession und der Dauer des die Rezession „begleitenden Bärenmarktes“

Hier die genauen Daten:

Daten der RezessionDaten des „begleitenden Bärenmarktes“
StartDauer (Monate)TiefeStart (in Monaten vor Rezession)Max. Kursdifferenz zw. Tief und AllzeithochDauer (Monate)
Aug-195783.7%1222%26
Apr-1960101.6%814%18
Dez-1969110.6%1236%39
Nov-1973163.2%1048%90
Jan-198062.2%S&P 500 ohne neues Allzeithoch vorher
Jul-1981162.7%727%23
Jul-199081.4%020%7
Mar-200180.3%1149%86
Dez-2007185.1%257%66

Daten: Wikipedia (zu den Rezessionen), S&P Global Market Intelligence (S&P 500) und eigene Berechnungen

Um all das in ein paar Worten zusammenzufassen: Das Einzige, was sich sagen lässt, ist, dass eine Rezession praktisch immer von einem fallenden Aktienmarkt begleitet wird (eine sehr überraschende Erkenntnis). Aber Dauer und Tiefe eines Bärenmarkts hängen im Grunde gar nicht mit Dauer und Tiefe der begleitenden Rezession zusammen:

- Es gibt mächtige Bärenmärkte als Begleiterscheinung von tiefen Rezessionen (z. B. 1929).

- Es gibt mächtige Bärenmärkte als Begleiterscheinung von sehr kleinen Rezessionen (2001).

- Es gibt kleinere Bärenmärkte als Begleiterscheinung von mittelschweren Rezessionen (1981).

- Es gibt Bärenmärkte ohne eine Rezession als Begleiterscheinung (Mitte der 1960er).

- Selbst wenn ein Bärenmarkt von einer Rezession begleitet wird, wird der Bärenmarkt entweder in genau demselben Monat beginnen oder bis zu einem Jahr vorher.

Wie man jetzt mit der gestiegenen Rezessionswahrscheinlichkeit umgehen sollte

Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in Deutschland ist stark gestiegen. Wir wissen aber nicht, ob es wirklich zu einer Rezession in den nächsten, sagen wir, 24 Monaten kommen wird. Und selbst wenn wir es wüssten, wir könnten mit dieser Information noch lange nicht die Entwicklung der Aktienmärkte so vorhersagen, dass wir damit wirklich Geld verdienen könnten.

Ich würde mich bei der Vorbereitung auf den nächsten Bärenmarkt mit den folgenden drei Szenarien beschäftigen:

1. Etwas wie 1929: ein sehr starker und sehr lang anhaltender Bärenmarkt begleitet von einer tiefen Rezession bzw. Depression.

2. Etwas wie ab Ende der 1960er bis Anfang der 1980: eine lang anhaltende Seitwärtsbewegung begleitet von einer hohen Inflation (nominal hat man zwar kein Geld am Aktienmarkt verloren, aber trotzdem zwei Drittel seiner Kaufkraft in diesem Zeitraum eingebüßt).

3. Alles, was während des Rests der letzten 100 Jahre passierte: Es wird in den kommenden zehn Jahren bei „normaler“ Volatilität immer neue Höhen geben bei einer „normalen“ realen Rendite im unteren bis mittleren einstelligen Bereich.

Zusammen schließen diese drei Szenarien hoffentlich das meiste ein, womit man in den kommenden 10-20 Jahren rechnen kann. Weitere wahrscheinliche Szenarien werden wohl eher eine Kombination aus diesen dreien sein anstatt komplett verschiedene. (Das Szenario eines systemischen Kollapses, das gewiss auch eine Wahrscheinlichkeit von >0 besitzt, betrachte ich hier nicht, man könnte es als ähnlich wie Szenario Nummer 1 einordnen.)

Man sollte sich meiner Meinung nach nicht auf nur eines dieser drei Szenarien einstellen. Am Ende wird (voraussichtlich) zwar nur eines davon eintreten. Welches es wird, das kann man heute jedoch unmöglich wissen. Daher sollte man sein Portfolio so aufstellen, dass möglichst keines der Szenarien zu einer persönlichen finanziellen Katastrophe führt (auch wenn man das ebenfalls niemals ausschließen kann).

Die konkrete Ausrichtung des eigenen Portfolios hängt sehr stark von der persönlichen Situation ab. Ein 30-Jähriger mit einer hohen Sparquote (sagen wir von jährlich >10 % seines heutigen Portfoliowertes), der nicht damit rechnen muss, für längere Zeit arbeitslos zu werden, der dürfte am besten damit beraten sein, kontinuierlich weiter zu investieren und dabei eine hohe Aktienquote zu haben.

Dann stünde er in allen drei Szenarien in 20 Jahren (immer noch 10-20 Jahre vor seinem gesetzlichen Renteneintritt) wahrscheinlich deutlich besser da, als wenn er versucht, sein heutiges Portfolio vor einem Szenario 1 oder 2 zu schützen. Eigentlich könnte für diesen Anleger ein Szenario 1 oder 2 gar nicht früh genug kommen. Denn je früher man Aktien wieder günstiger kaufen kann, desto höher die langfristigen Renditen.

Die Situation sieht ganz anders aus für einen 55-plus-Jährigen, der in spätestens zehn Jahren in Rente gehen und einen Teil seines Lebensunterhaltes mit einem Einkommen aus seinem Portfolio bestreiten möchte. Je nach dem Verhältnis des Wertes seines heutigen Portfolios und dem Einkommen, das er in zehn Jahren daraus generieren möchte, könnte ein Szenario 1 oder 2 deutliche Einbußen in der Lebensqualität bedeuten.

Ich persönlich würde in einem solchen Fall schauen, dass ich meine Aktienquote eher etwas niedriger halte. Komplett auf Aktien verzichten würde ich nicht, vorausgesetzt ich rechne noch mit einer gewissen Rendite (von mehr als 1 bis 2 %) in den kommenden zehn Jahren. Denn sollte Szenario 3 eintreten, würde man sich mit einer geringen Aktienquote in das eigene Knie schießen.

Außerdem behaupte ich, dass in der heutigen Situation physisches Gold und Silber durchaus einen Platz auch in einem Foolishen Portfolio haben. Es zeichnet sich ab, dass die Zentralbanken weltweit wohl nicht mehr so schnell aus dem Gelddrucken herauskommen, und die Zinsen könnten noch für lange Zeit sehr niedrig bleiben. Aus diesem Grund kann man ein Szenario 1 oder 2 inklusive einer Krise des Fiat-Geldsystems nicht ausschließen. In diesen Fällen würde ich damit rechnen, dass Gold und Silber (vielleicht auch Bitcoin) zumindest dafür sorgen, die heutige Kaufkraft des darin angelegten Kapitals zu erhalten.

Der Nachteil an einer zu hohen Gewichtung von Gold und Silber bzw. Cash ist, dass diese in Szenario 3 die Renditen wohl merklich schmälern würden. Dafür aber erhöhen sie die Optionalität, in einem Szenario 1 oder 2 zu handeln und die Renditen wieder deutlich zu steigern. Diese Optionalität hat durchaus einen Wert.

Wie genau die Verteilung des eigenen Portfolios am Ende aussieht, das sollte die persönliche Situation und die eigene Risikofreudigkeit entscheiden. Ich würde nur dazu raten, die Verteilung nur einmal festzulegen und nicht ständig zu überdenken - und wenn, dann nur graduell, denn zu häufiges Handeln führt in der Regel zu schlechten, weil auf Emotionen basierenden Entscheidungen.

Daher: lieber nur einmal Gedanken machen, wie man sein Portfolio ausrichten möchte, so dass du keine schlaflosen Nächte bekommst, egal welches Szenario uns ereilen wird. Und man sollte sich in jedem Fall darauf einstellen, dass die Volatilität am Aktienmarkt nicht verschwinden wird. Es wird immer 10%-, 20%- und auch einmal wieder 50%-Kursrückgänge geben. Am wichtigsten wird sein, dass man dann nicht auf die Geschehnisse reagiert, sondern bereits vorher einen Plan hat, nach dem man handeln bzw. (am besten) stillhalten kann. Hoffentlich ist dieser Artikel eine kleine Hilfe bei der Erstellung dieses Plans.

Foto: gguy / Shutterstock.com

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