Upskirt-Urteil sorgt für Prinzipienstreit
Sie sind einfallsreich: Die Videokameras werden in tiefhängenden Sporttaschen unauffällig mit sich getragen, in der Oberseite ist ein kleines Loch für das Objektiv. Drahtlose Kameras werden in leeren Coladosen auf dem Boden vor Geldautomaten, in Umkleidekabinen oder Foto-Automaten versteckt, das Objektiv nach oben gerichtet. Beliebt ist auch der schnelle Klick mit dem Smartphone auf der Rolltreppe nach oben unter den Rock der Vorderfrau. So genannte „Upskirt“-Fotos haben im Internet eine feste Stammkundschaft.
Für die Belieferung mit frischem Material sah sich auch ein Mann aus Massachusetts zuständig, bis er 2010 in einer Undercover-Aktion in der U-Bahn von Boston auf frischer Tat ertappt wurde. Er versuchte, eine Polizistin, die als Lockvogel mitfuhr, zu fotografieren. Das folgende Gerichtsverfahren zog sich quälend lange hin, in erster Instanz wurde der Spanner verurteilt, aber vergangene Woche in der Revision freigesprochen.
Die Begründung der Richter: Das existierende Gesetz verbietet Fotos von nackten oder halbnackten Menschen ohne deren Wissen oder Zustimmung. Aber es greife hier nicht. Schließlich waren die Opfer bekleidet. Der Beklagte konnte sich somit auf sein Verfassungsrecht der „Free Speech“, der freien Meinungsäußerung, berufen, das in den USA einen hohen Stellenwert genießt. Das ist wichtig für eine Demokratie, für eine freie Presse und auch Äußerungen im Internet, kann aber manchmal eben auch zu unerwünschten Nebenwirkungen führen.
Was vergangenen Mittwoch noch legal war, ist jetzt jedoch unterbunden. Das neue Gesetz stellt „das Fotografieren, die Videoaufzeichnung oder die Überwachung“ der intimen Körperbereiche einer Person unter Strafe, auch wenn diese Bereiche „bekleidet sind oder eine vernünftig denkende Person annimmt, dass diese intimen Körperteile nicht den Blicken der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten“.
Auch "Racheporno" im Internet jetzt unter Strafe
Ein Verstoß kann Strafen bis zu 5000 Dollar oder zwei Jahre Haft nach sich ziehen. Wird ein Kind fotografiert, erhöht sich der Strafrahmen auf 10.000 Dollar oder bis zu fünf Jahre Haft. „Wir werden das Gesetz immer wieder überprüfen und eventuell erweitern müssen“, so Senatspräsidentin Therese Murray. „Die Technik entwickelt sich weiter, und wir müssen immer den nötigen Schutz bieten.“
Massachusetts ist nicht der erste Bundesstaat, der versucht, die unter dem Deckmantel der „free speech“ grassierende sexuelle Demütigung im Internet einzudämmen. Manche Internetznutzer machen ihrem Frust über zerbrochene Beziehungen Luft, indem sie Nacktaufnahmen oder Videos des Ex-Partners aus glücklicheren Zeiten ohne Einverständnis der Betroffenen in Internet-Foren hochladen. Oft genug setzen sie noch Telefon-Nummer, Arbeitgeber oder Adresse dazu, versenden die Internet-Adresse an Kollegen oder Familienmitglieder der Betroffenen. Damit kann man Existenzen vernichten. Doch in den meisten US-Bundesstaaten ist das nicht strafbar, lediglich in Kalifornien und New Jersey seit Ende 2013.
Wie weit die aktuellen Gesetze Bestand haben werden oder wo die Grenzen sind, wird sich allerdings noch zeigen müssen. Einen Grenzfall stellen zum Beispiel kompromittierende „Selfies“ dar, die der oder die Betroffene freiwillig angefertigt und versendet hat. Kritiker fürchten, dass es dann kaum möglich sein wird, Leute für veröffentlichte Bilder zu belangen, die legal in ihrem Besitz sind. Das kalifornische Gesetz zum Beispiel nimmt Aufnahmen aus, die freiwillig selbst hergestellt und verbreitet wurden.