Wirtschaftsweise erwarten tiefe Rezession - aber ab Sommer Erholung
Berlin (Reuters) - Die Wirtschaftsweisen rechnen für das gesamte laufende Jahr mit einer schweren Rezession in Deutschland - aber ab Jahresmitte mit einer wieder anziehenden Konjunktur.
"Die Corona-Pandemie wird voraussichtlich den stärksten Einbruch der deutschen Wirtschaft seit Bestehen der Bundesrepublik verursachen", sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Lars Feld, am Dienstag bei der Vorlage der neuen Prognose der Regierungsberater. "Wir erwarten, dass jedoch ab dem Sommer eine Erholung einsetzt." Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde um 6,5 Prozent einbrechen und 2021 um 4,9 Prozent steigen. "Damit dürfte das BIP frühestens im Jahr 2022 wieder auf dem Niveau von vor der Pandemie liegen."
Die Ökonomen hatten im März für 2020 drei Szenarien durchgespielt - von einem Schrumpfen der Wirtschaft um 2,8 Prozent bis hin zu einem Minus von 5,4 Prozent. Inzwischen sei man aber pessimistischer, da die Virus-Krise sich dynamischer entwickelt habe und die Eindämmungsmaßnahmen umfassender seien sowie länger dauerten als erwartet.
Allerdings mehren sich die Signale, dass nach dem Rekordabsturz für die Euro-Zone und ihre größte Volkswirtschaft Deutschland wieder Wachstum in Aussicht steht. Feld verwies auf den an den Finanzmärkten vielbeachteten Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft. Das Barometer, das Industrie und Dienstleister zusammenfasst, sprang im Juni in der Währungsunion unerwartet deutlich um 15,6 auf 47,5 Punkte nach oben. Damit rückt die Wachstumsmarke von 50 Zählern wieder in greifbare Nähe, wie das Institut IHS Markit zur Umfrage unter rund 4500 Unternehmen mitteilte. In Deutschland kletterte das Barometer um 13,5 auf 45,8 Punkte.
"Erste Silberstreifen am Horizont" sieht auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. "Wir tun alles, damit es ab dem letzten Quartal 2020 eine Trendumkehr geben wird."
FIRMEN INVESTIEREN WENIGER - PRIVATER KONSUM BRICHT EIN
Dennoch dürfte das BIP im zweiten Vierteljahr so stark schrumpfen wie noch nie. Die Wirtschaftsweise erwarten hier für Deutschland ein Minus zwischen zehn und elf Prozent. Bereits im ersten Quartal war das BIP mit 2,2 Prozent so stark eingebrochen wie seit der Finanzkrise 2008/09 nicht mehr.
Die Zahl der registrierten Arbeitslosen dürfte laut Sachverständigenrat im Jahresschnitt 2020 bei knapp 2,72 Millionen liegen, nach 2,27 Millionen im vorigen Jahr. Die Ausrüstungsinvestitionen brechen in diesem Jahr um gut 19 Prozent ein, und die Verbraucher dürften 5,5 Prozent weniger ausgeben. Zudem sorge die "tiefe Rezession der Weltwirtschaft" für einen Rückgang der deutschen Exporte um 14,5 Prozent.
DEBATTE UM HÖHERE STEUERN WÄREN "SCHLAG MIT DEM HAMMER"
Dabei dürften sich die Konjunkturpakete in Deutschland und bei wichtigen Handelspartnern positiv auswirken. "Dazu investieren wir 130 Milliarden Euro, davon 50 Milliarden für Zukunftstechnologien, damit wir stärker aus der Krise hervorgehen als wir hinein gegangen sind", sagte Altmaier. Die fünf Wirtschaftsweisen sehen dies als richtigen Weg und lehnen eine Haushaltskonsolidierung derzeit ab. "Wir sind in der Situation, die sich jetzt wirtschaftspolitisch stellt, gefordert, eine expansive Finanzpolitik zu betreiben", sagte Feld. Es wäre "sehr problematisch", schon 2021 über die Konsolidierung nachzudenken. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sagte, man dürfe nicht über Zusatzbelastungen reden, sondern müsse ein Wachstumsklima erzeugen. Ihr Kollege Volker Wieland nannte es "fatal", sollte jetzt schon eine Diskussion über Steuererhöhungen ausbrechen oder etwa eine Reichensteuer gefordert werden. "Damit würde man der Erholung, auf die wir jetzt hoffen, einen Schlag mit dem Hammer verpassen."
Die Wirtschaftsweisen betonten, dass der Ausblick für die Konjunktur extrem unsicher bleibe und vom Verlauf der Virus-Pandemie abhänge.