Netflix: Wie geht es weiter nach dem Quartalsdesaster? Was Analysten sagen und was das Unternehmen plant

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Die jüngsten Quartalszahlen von Netflix haben einen tiefen Krater hinterlassen: Die Papiere des US-Streaming Anbieters sind im nachbörslichen Handel um gut 25 Prozent in den Keller gerutscht, nachdem das Unternehmen den ersten Abonnentenrückgang seit 10 Jahren bekannt gegeben hat.

In den drei Monaten bis Ende März meldeten sich rund 200.000 Abonnenten ab, wie Netflix am Dienstag nach US-Börsenschluss mitteilte. Die Anzahl der weltweiten Bezahlabos lag zum Quartalsende bei 221,6 Millionen. Eigentlich hatte das Unternehmen laut eigener Prognose mit einem Zuwachs von 2,5 Millionen Kunden gerechnet.

Rückzug aus Russland und wachsende Konkurrenz sorgen für Druck

Besonders schlecht kam an der Börse an, dass Netflix angesichts der stärker werden Streaming-Konkurrenz davon ausgeht, auch im laufenden Vierteljahr Abonnenten zu verlieren. Und diesmal dürfte das Minus mit rund zwei Millionen Kundenkonten noch stärker ausfallen. Dabei hat der Streaming-Dienst mit neuen Staffeln von Hit-Serien wie „Stranger Things“ und hochkarätig besetzten Filmen wie „The Gray Man“ mit Hollywood-Star Ryan Gosling eigentlich starke Produktionen am Start und noch mehr Geld für hochwertige Produktionen auf den Tisch gelegt. Um das zu finanzieren, hat der Dienst in den USA und Kanada die Preise erhöht. Dies habe zu einer Umsatzsteigerung, jedoch auch zu dem Verlust von 600.000 Abonnenten in den USA und Kanada im letzten Quartal geführt.

„Unser Umsatzwachstum hat sich erheblich verlangsamt“, schrieb das Unternehmen am Dienstag in einem Brief an die Aktionäre. „Streaming gewinnt linear, wie wir vorhergesagt haben, und Netflix-Titel sind weltweit sehr beliebt. Unsere relativ hohe Haushaltsdurchdringung – wenn man die große Anzahl von Haushalten mit geteilten Konten dazurechnet – in Kombination mit dem Wettbewerb schafft jedoch Gegenwind für das Umsatzwachstum.“ Auch die Pandemie-Effekte, die sich nun abkühlen würden, tragen zu einer geringeren Geschäftsdynamik bei, so das Unternehmen. Die starken Gewinne während der Lockdowns hätten „das Bild für das Unternehmen getrübt“.

Den Rückgang in diesem Quartal begründet Netflix vor allem mit dem Rückzug aus seinem Russland-Geschäft. Das Unternehmen gab an, dass die Einstellung seines Dienstes in Russland und die Auflösung aller bezahlten Mitgliedschaften in Russland zu einem Verlust von 700.000 Abonnenten geführt hätten. Ohne diese Auswirkungen gab das Unternehmen an, im letzten Quartal 500.000 Nettozugänge verzeichnet zu haben.

Account-Sharing ist Netflix ein Dorn im Auge

Die sehr hohe Zahl an geteilten Accounts ist dem Unternehmen zudem immer mehr ein Dorn im Auge. Netflix schätzt, dass mehr als 30 Millionen US-amerikanische und kanadische Haushalte ein gemeinsames Passwort verwenden, um auf seine Inhalte zuzugreifen. Das Unternehmen sagte, dass wahrscheinlich mehr als 100 Millionen zusätzliche Haushalte weltweit ein gemeinsames Passwort verwenden würden. In der Vergangenheit wurde dieses Vorgehen von der Firma toleriert, um Kundenbindung zu erreichen. Aufgrund der enorm gewachsenen Konkurrenz will Netflix nun jedoch Maßnahmen einleiten.

„Unsere relativ hohe Haushaltsdurchdringung – wenn man die große Anzahl von Haushalten einbezieht, die Konten teilen – in Kombination mit dem Wettbewerb, schafft Gegenwind für das Umsatzwachstum. Die Kontoteilung als Prozentsatz unserer zahlenden Mitgliedschaft hat sich im Laufe der Jahre nicht wesentlich verändert, aber in Verbindung mit dem ersten Faktor bedeutet dies, dass es in vielen Märkten schwieriger ist, die Mitgliedschaft zu steigern – ein Problem, das durch unser COVID-Wachstum verdeckt wurde“, hieß es bei der Zahlenvorlage.

Anfang des Jahres hat Netflix in einigen südamerikanischen Ländern bereits Strategien ausgetestet, um das Teilen von Passwörtern einzudämmen. Diese Modelle könnten noch erweitert werden, indem zusätzliche Gebühren für Konten erhoben werden, die Passwörter außerhalb des Hauses teilen. Netflix hat noch keine konkrete globale Strategie geäußert, aber angedeutet, dass globale Veränderungen bereits 2023 kommen könnten.

Preisgünstigere Version mit Werbung geplant

Als weitere Maßnahme im Kampf gegen den Konkurrenzdruck und um Marktanteile plant Netflix zudem, eine kostengünstigere Version seines Angebots anzubieten, bei der Werbung geschaltet wird. „Diejenigen, die Netflix verfolgt haben, wissen, dass ich gegen die Komplexität von Werbung und ein großer Fan der Einfachheit von Abonnements war“, so Co-Chief Executive Officer Reed Hastings bei der Zahlenvorlage. „Ich bin ein größerer Fan der Verbraucherauswahl, und es macht sehr viel Sinn, Verbrauchern, die einen niedrigeren Preis haben möchten und werbetolerant sind, das zu geben, was sie wollen.“ Das Unternehmen werde in den nächsten ein bis zwei Jahren daran arbeiten, eine werbefinanzierte Version des Dienstes zu erstellen, sagte Hastings.

Was heißt das für die Aktie?

Netflix hat im Zuge der Gesamtmarktkorrektur im ersten Quartal 2022 bereits deutlich einstecken müssen. Die schwache Geschäftsentwicklung kommt nun als nächster Nackenschlag obendrauf. Der Streaming Anbieter kann sich zwar weiterhin auf sein starkes Fundament – bestehend aus einer riesigen und größtenteils treuen Kundenbasis und hochwertigen Produktionen – verlassen, jedoch scheint die Zeit des größten Wachstums vorerst vorbei zu sein. Dafür sprechen zum einen die rückläufige Dynamik aus den Covid-Lockdowns, da die Kunden zur Normalität und damit weniger Screentime zurückgekehrt sind, und zum anderen die stark gewordene Konkurrenz, die Marktanteile abgrast. Maßnahmen gegen Accountsharing werden einiger Gewöhnung seitens der Kunden und kurzfristigen Gegenwind bedeuten. Ein kostengünstigeres Angebot mit Werbung könnte hingegen für einen positiven Effekt auf die Abo-Zahlen sorgen.

Viele Analysten äußern sich nach den Quartalszahlen jedoch skeptisch. Die Schweizer Bank Credit Suisse hat das Kursziel für Netflix von 450 auf 350 US-Dollar gesenkt und die Einstufung auf „Neutral“ belassen. Jetzt, wo das Marktumfeld für den Streaminganbieter gealtert sei, suche das Management nach einem neuen Wachstumsansatz, schrieb Analyst Douglas Mitchelson. Abgeleitet am ersten Quartal und dem Ausblick auf das zweite Jahresviertel werde das erste Halbjahr wohl düsterer als von allen befürchtet.

Das Analysehaus Evercore ISI hat das Kursziel von 525 auf 300 US-Dollar gekappt, die Einstufung aber auf „In-line“ belassen. Die Resultate für das erste Quartal und der Ausblick auf das zweite Jahresviertel seien deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben, schrieb Analyst Mark Mahaney.

Die britische Investmentbank Barclays hat das Kursziel von 380 auf 275 US-Dollar gekappt, die Einstufung aber auf „Equal Weight“ belassen. Es habe viel Unsicherheit gegeben rund um die Abonnentenzahl, mit einer negativen Entwicklung in drei von vier Regionen hätten aber selbst die größten Pessimisten nicht gerechnet, urteilte Analyst Ross Sandler. Das Abschneiden werfe Fragen um den noch adressierbaren Markt und die Beständigkeit des Geschäftsmodells auf.

Die Schweizer Großbank UBS hat Netflix von „Buy“ auf „Neutral“ abgestuft und das Kursziel von 575 auf 355 US-Dollar gekappt. Das erste Quartal und der Ausblick auf das zweite Jahresviertel seien hinter den Erwartungen zurückgeblieben, schrieb Analyst John Hodulik. Das Geschäftsmodell des Streaminganbieters werde derzeit auf eine harte Probe gestellt. Er rechnet damit, dass der zunehmende Wettbewerb, konjunktureller Gegenwind und die Marktsättigung das Wachstum der Abonnentenzahlen vorerst belasten werden.

onvista-Redaktion mit dpa-AFX

Titelfoto: Ken Wolter / Shutterstock.com

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