Deutschland bei Wachstumsaussichten in Euro-Zone fast Schlusslicht

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Brüssel/Berlin (Reuters) - Die EU-Kommission sieht die Konjunkturaussichten für die Euro-Zone etwas rosiger als im Winter - nicht jedoch für Deutschland.

Die Bundesrepublik gehört aus Brüsseler Sicht dieses Jahr zu den Schlusslichtern in Sachen wirtschaftlicher Dynamik, wie aus der am Montag vorgelegten Frühjahrsprognose hervorgeht. Nur Estland steht mit minus 0,4 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) schlechter da als Deutschland und Finnland, denen jeweils ein mageres Wachstum von 0,2 Prozent zugetraut wird. Die Bundesregierung erwartet hierzulande einen doppelt so starken Zuwachs von 0,4 Prozent. Brüssel rechnet für die Euro-Zone nun mit plus 1,1 Prozent nach 0,9 Prozent in der Winterprognose.

Die Wirtschaft habe die aus dem Ukraine-Krieg erwachsenen Risiken gut gemeistert und sich als widerstandsfähig erwiesen, betonte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni. Europa habe allen Grund, darauf stolz zu sein. Doch müsse man die Diskrepanz bei den Konjunkturaussichten der Länder genau im Auge behalten, damit sich die Unterschiede nicht verfestigten. Deutschland, das früher oft die Wachstumslokomotive war, hatte die Kommission auch in der Winterprognose nur ein Plus von 0,2 Prozent zugetraut. Gentiloni sprach von einem "gedämpften Wachstum". Die Bundesregierung erwartet nach der jüngsten Flaute immerhin eine allmähliche Besserung. Stimmungsindikatoren deuteten nach dem schwachen Winterhalbjahr eine wirtschaftliche Erholung im weiteren Jahresverlauf an, erklärte das Wirtschaftsministerium.

Nach einem überraschend starken Jahresauftakt hat sich die Konjunktur allerdings spürbar eingetrübt: Ob Produktion, Exporte oder Industrieaufträge - überall zeigte der Trend im März stark nach unten. Selbst das "R-Wort" wird wieder in den Mund genommen: "Die Rezessionsgefahren sind mitnichten gebannt", sagte etwa Analyst Elmar Völker von der LBBW. Experten zufolge werden die Folgen der kräftigen Zinserhöhungen durch die Europäische Zentralbank (EZB) sowie weiterer führender Notenbanken für die deutsche Konjunktur unterschätzt.

Die deutsche Wirtschaft war Ende 2022 wegen der Belastungen durch Inflation und Energiekrise um 0,5 Prozent geschrumpft. Zwischen Januar und März stagnierte das BIP. Dadurch schrammte die Wirtschaft knapp an einer technischen Rezession vorbei. Davon sprechen Fachleute, wenn das BIP zwei Quartale in Folge sinkt.

Für nächstes Jahr erwartet die EU-Kommission nun immerhin einen Zuwachs beim deutschen BIP von 1,4 Prozent, in der Winterprognose wurde ein Wert von lediglich 1,3 Prozent angesetzt. Die hiesige Wirtschaft wäre 2024 damit auf Augenhöhe mit der französischen, die 2023 laut Brüsseler Prognose aber mit 0,7 Prozent deutlich stärker zulegen dürfte als in Deutschland.

Noch mehr Wachstum wird dieses Jahr in Spanien (plus 1,9 Prozent) erwartet - und auch in Italien (plus 1,2 Prozent), das lange Zeit als konjunktureller Nachzügler der Euro-Zone galt. Gentiloni sagte mit Blick auf die Prognosezahl für sein Heimatland: "Das hat es lange nicht gegeben."

HARTNÄCKIGE INFLATION

Die EU-Kommission geht zugleich davon aus, dass der Preisdruck im Euroraum noch länger hoch bleibt. "Die Inflation hat sich als hartnäckiger erwiesen als erwartet", betonte Gentiloni. Für die Euro-Zone veranschlagt die EU-Kommission für 2023 einen Anstieg der Verbraucherpreise von 5,8 Prozent nach 5,6 Prozent in ihrer Winterprognose. Auch nächstes Jahr dürften die Teuerungsraten demnach in Deutschland mit 2,7 Prozent und in der Euro-Zone mit 2,8 Prozent recht hoch bleiben. Die EZB strebt für den Euroraum mittelfristig eine Rate von 2,0 Prozent an, die für die Konjunktur als ideal gilt.

(Bericht von Reinhard Becker, Rene Wagner, Klaus Lauer, redigiert von Christian Rüttger - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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