Deutsche Wirtschaft im Abwärtsstrudel - Autobranche schwächelt

- von Reinhard Becker und Rene Wagner
Berlin (Reuters) - Die deutsche Wirtschaft verliert laut einer Umfrage unter Managern zusehends an Boden und zieht die Euro-Zone nach unten.
Der Einkaufsmanagerindex (PMI) sank im September auf 47,2 Zähler und entfernte sich damit weiter von der Wachstumsschwelle von 50 Punkten, wie der Finanzdienstleister S&P Global am Montag zu seiner Umfrage mitteilte: "Die deutsche Privatwirtschaft ist im September noch tiefer in den rezessiven Bereich abgesackt und so stark geschrumpft wie seit sieben Monaten nicht mehr." Das Barometer, bei dem Firmenmanager die Geschäftsbedingungen beurteilen, ist ein an den Finanzmärkten stark beachteter Frühindikator für die Konjunktur.
Die Auftragsbestände nahmen so rasant ab wie zuletzt vor zwölf Monaten – laut S&P Global ein deutlicher Hinweis auf die markante Unterauslastung von Maschinen und Anlagen. Im verarbeitenden Gewerbe sanken die Auftragsbestände besonders stark. Und der Stellenabbau fiel so kräftig aus wie seit über 15 Jahren nicht mehr - allerdings nur, wenn man die Anfangsmonate der Pandemie ausklammert.
Gleichzeitig verschlechterten sich die Geschäftsaussichten binnen Jahresfrist drastisch. So übertraf der Anteil der Pessimisten erstmals seit genau einem Jahr den der Optimisten: "Ausschlaggebend hierfür waren Rezessionsängste, die unsichere Marktentwicklung und die Schwäche des Automobil- und Bausektors", teilte S&P Global weiter mit.
Wirtschaftsminister Robert Habeck plant an diesem Montag eine virtuelle Konferenz mit den Spitzen der Autohersteller sowie Vertretern der Zulieferindustrie und des Verbandes der Automobilhersteller (VDA). Der Grünen-Politiker will den E-Auto-Markt ankurbeln. In der SPD von Kanzler Olaf Scholz wird eine Abwrackprämie von 6000 Euro für einen Umstieg von einem Verbrenner auf ein E-Auto diskutiert. Der Ampelpartner FDP reagierte allerdings skeptisch darauf.
Der in eine Krise geschlitterte Volkswagen-Konzern will sich einem Medienbericht zufolge bei Habeck für eine Neuauflage der Elektroauto-Prämie stark machen. Wie der "Spiegel" berichtete, fordert Volkswagen, dass der Staat künftig 4000 Euro zum Kauf eines reinen Elektroautos zuschießt, wenn der Hersteller einen Preisnachlass von 2000 Euro gewährt.
ZEW-Präsident Achim Wambach sieht eine Abwrackprämie skeptisch. Sie könne zwar die Umstellung erleichtern, sagte der Chef des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Gespräch mit Reuters. "Eine Abwrackprämie ist allerdings – abhängig von ihrer Ausgestaltung - problematisch", fügte er hinzu. "Wenn funktionsfähige Fahrzeuge stillgelegt werden, werden Werte zerstört."
"UNSCHÖNE ZAHLEN"
Chefvolkswirt Cyrus de la Rubia von der Hamburg Commercial Bank (HCOB), die die PMI-Umfrage sponsert, geht davon aus, dass die "unschönen Zahlen" vom September die Debatte über das Risiko einer Deindustrialisierung anheizen und auch darüber, was die Regierung dagegen tun sollte. "Unter dem Strich mehren sich die Signale, dass die deutsche Wirtschaft im Gesamtjahr wohl kaum mehr als stagnieren dürfte", prognostiziert Marc Schattenberg, Volkswirt bei Deutsche Bank Research.
Die Konjunktur befindet sich nach Einschätzung der Bundesbank "in schwierigem Fahrwasser". Das Bruttoinlandsprodukt könnte demnach von Juli bis September stagnieren oder sogar erneut etwas zurückgehen, nachdem es im Frühjahr bereits um 0,1 Prozent geschrumpft war. Bei zwei Minus-Quartalen in Folge sprechen Volkswirte von einer technischen Rezession. Ökonom De la Rubia sagte, diese scheine "vorprogrammiert zu sein".
Gebremst von ihrem wirtschaftlichen Schwergewicht Deutschland, ist auch die Euro-Zone auf Talfahrt: Der PMI sank im September überraschend unter die Wachstumsschwelle und markierte mit 48,9 Zählern ein Acht-Monatstief. Bremsfaktor Nummer eins war erneut die Industrie. Hier fiel der 18. Produktionsrückgang hintereinander so stark aus wie seit Jahresbeginn nicht mehr. Der Dienstleistungssektor kühlte spürbar ab und vermeldete mit der schwächsten Expansion seit Februar nur noch ein Mini-Plus.
Das BIP in den 20 Staaten des Euroraums stieg im Frühjahr um 0,2 Prozent und damit nicht mehr so stark wie zu Jahresbeginn mit 0,3 Prozent. Die Volkswirte der Europäischen Zentralbank senkten jüngst ihren Ausblick für das Wachstum im laufenden Jahr leicht auf 0,8 Prozent. Während die Währungshüter die Inflation als so gut wie besiegt betrachteten, dürfte sich die Aufmerksamkeit mehr und mehr auf die schwache Konjunktur verlagern, meint Commerzbank-Experte Vincent Stamer: "Wir erwarten für dieses Jahr eine weitere Zinssenkung durch die EZB um 25 Basispunkte."
(redigiert von Kerstin Dörr - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)