"Die Altersvorsorge wird näher an den Kapitalmarkt herangerückt"
Das Finanzministerium hat einen Entwurf für eine Reform der privaten Rente veröffentlicht. Im Interview erklärt Florian Toncar (FDP), wie sich die neuen Modelle von Riester unterscheiden, wieso du maximal 3.000 Euro pro Jahr einzahlen darfst - und wann das Gesetz in Kraft treten soll.
Herr Toncar, die Bundesregierung will die private Altersvorsorge reformieren. Bisher müssen Anbieter bei der Riester-Rente garantieren, dass 100 Prozent der Beiträge am Rentenanfang zur Verfügung stehen. Sie können deswegen nur relativ sicher – und renditeschwach – anlegen. Die Folge: Kaum jemand schließt noch ab. Verträge mit 100 Prozent Garantie soll es aber auch nach der Reform weiterhin geben. Wieso?
Wir schaffen eine neue Produktwelt für unterschiedliche Zielgruppen und Präferenzen. Es gibt das Altersvorsorgedepot ohne Garantien, ein Modell mit 80 Prozent Garantie und, ja, auch weiterhin eins mit 100 Prozent Beitragsgarantie. Denn es gibt nach wie vor Menschen, die mit Garantien vorsorgen wollen.
Die Lebenssituationen sind sehr unterschiedlich. Dem tragen wir Rechnung, indem wir Verträge mit 100 Prozent Garantie nicht abschaffen. Gleichzeitig sorgen die Modelle mit abgesenkter beziehungsweise ohne Garantie dafür, dass die Altersvorsorge näher an den Kapitalmarkt heran gerückt wird.
Beim Vorsorgedepot ohne Garantie soll ich selbst entscheiden können, in welche Wertpapiere ich investiere. Bedeutet im Extremfall: Ich könnte kurz vor Rentenbeginn immer noch hundert Prozent des Depots in Einzelaktien stecken. Richtig?
Das Altersvorsorgedepot ist geprägt von den Gedanken, einerseits höhere Renditechancen zu eröffnen und andererseits größere Flexibilität bei den Anlagemöglichkeiten anzubieten. Wir sehen, dass sich bei Kleinanlegern unter anderem risikodiversifizierte ETFs eines höheren Zuspruchs erfreuen.
Mit dem Referenzdepot schaffen wir eine Standardversion des Altersvorsorgedepots, bei dem Altersvorsorgende selbst keine Anlageentscheidung treffen müssen. Beim Referenzdepot wird nach einem vereinbarten Plan in risikodiversifizierte Fonds investiert und eine lebenszyklusorientierte Kapitalanlage zugrunde gelegt. Das Altersvorsorgedepot ermöglicht aber auch denjenigen, die in der Kapitalanlage versiert sind, eigenverantwortlich in Einzelaktien zu investieren.
Grundsätzlich würde ich immer raten: Wer selbst kein Finanzexperte ist, sollte sich nicht davor scheuen, sich fachkundig beraten und gegebenenfalls auch sein Depot von Anlageexperten verwalten zu lassen.
Bestehende Riester-Sparerinnen und -Sparer sollen aus ihren Riester-Renten-Verträgen in die neuen Modelle wechseln können. Fallen bei einem solchen Wechsel Gebühren an?
Grundsätzlich ist wichtig, dass ein Bestandsschutz gilt. Wer also mit seinem Riester-Vertrag glücklich ist, kann den genauso weiter besparen und die gleichen Förderungen erhalten wie bisher. Wer wechseln will, soll aber auch einmal aus einem bestehenden Riester-Vertrag in eins der neuen Modelle wechseln können – und dabei alle erhaltenen Förderungen behalten. Der Wechsel in die neue steuerliche Förderung ist unwiderruflich. Ein Wechsel zurück zur alten steuerlichen Förderung ist also nicht mehr möglich.
Wer mit seinem Riester-Vertrag glücklich ist, kann den genauso weiter besparen.
Bei so einem Wechsel können Gebühren anfallen, die wir aber gesetzlich reduzieren werden.
Neu ist auch die Systematik, nach der es Förderung gibt. Bisher mussten Riester-Sparer vier Prozent ihres Vorjahres-Bruttos einzahlen, um die volle Förderung zu erhalten. Jetzt gibt’s pauschal 20 Cent auf jeden eingezahlten Euro – bei 3.000 Euro Maximalbetrag also bis zu 600 Euro im Jahr. Wieso wollen Sie die Förder-Systematik verändern?
Die bisherige Systematik bietet kaum Anreize, mehr anzusparen als besagte vier Prozent, auf die die erhaltenen Zulagen auch noch angerechnet werden. Das ist künftig – bis zur Grenze von 3.000 Euro – anders. Außerdem verändert sich die Vier-Prozent-Grenze im alten Recht dynamisch mit der Einkommensentwicklung. Sie müssen jedes Jahr neu feststellen: Hat er oder sie wirklich Sparbeiträge eingezahlt, die vier Prozent des Einkommens abzüglich der Zulagen entsprechen? Das ist ein enormer Aufwand, der im neuen System wegfällt. Da bauen wir also Bürokratie ab.
Die alte Fördersystematik wird bei einigen der 15,5 Millionen Riesterverträge sicherlich Jahrzehnte weitergeführt werden, solange es darin noch Sparerinnen und Sparer gibt. Gleichzeitig starten die neuen Systeme. Das ist doch mittelfristig eher mehr als weniger Bürokratie.
Die neue Systematik ist viel einfacher als die bestehende, weil Sie zum Beispiel nicht mehr jedes Jahr nachrechnen müssen, wie viel Sie zur Erlangung der vollen Zulagen einzahlen müssen. Auch die Zulagenstelle muss das künftig nicht mehr. Dazu kommen die Vorteile bei der Flexibilität. Wer also wenig Arbeit haben will, der wird aus einem alten in einen neuen Vertrag wechseln.
Und zugleich ist es auch wichtig, für diejenigen, die sich auf die bisherigen Förderbedingungen verlassen haben, Bestandschutz zu gewähren.
Zur Person: Florian Toncar (FDP) ist seit 2021 parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium (BMF). Bereits seit 2017 fungiert er zudem als parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion. Toncar ist promovierter Jurist. Der 45-Jährige war 2005 erstmals Mitglied des Bundestags.
Geld, das ich einzahle, soll grundsätzlich bis zum 65. Geburtstag gebunden sein. Was, wenn ich vorher ran möchte oder muss?
Bei Riester kann man sich bisher das Geld ab 62 als Rente auszahlen lassen. Diese Grenze stammt noch aus der Anfangszeit von Riester vor 20 Jahren. Damals haben die Menschen im Durchschnitt wesentlich früher ihr Erwerbsleben beendet. Wir heben diese Grenze mit der Reform auf 65 Jahre an. Vorher an das Geld zu kommen, ohne die Förderung zurückzahlen zu müssen, geht – wie auch bisher schon – nur, wenn Sie das Geld in eine selbstgenutzte Immobilie stecken.
…Wohn-Riester…
Genau. Denn auch wer im Alter mietfrei wohnen kann, sichert sich ja gegen Altersarmut ab. Auch künftig ist es daher möglich, das angesparte Kapital und die erhaltene Förderung in eine selbstgenutzte Immobilie zu investieren. Allerdings muss diese Möglichkeit künftig ausdrücklich beim Abschluss des Vorsorgeprodukts ausgewählt werden.
Angenommen, ich möchte mehr als 3.000 Euro pro Jahr in mein Altersvorsorge-Depot einzahlen. Wird das möglich sein?
Bei Riester sind solche höheren Einzahlungen bisher möglich. Die Folge ist aber, dass dann jahrzehntelang zwischen versteuerten und nicht-versteuerten Einzahlungen unterschieden werden muss. Die Förderung, also den Steuervorteil, bekommt man aber nur für die ersten 2.100 Euro einschließlich erhaltener Zulagen. Was darüber hinaus eingezahlt wird, stammt aus bereits versteuertem Einkommen. Dieser Anteil darf dann in der Rentenphase nicht mehr erneut besteuert werden. Um diese Doppelbesteuerung zu vermeiden, ist die Unterscheidung für so viele Jahre notwendig, wenn jemand mehr einzahlt.
Um diese Bürokratie zu vermeiden, wird es künftig bei 3.000 Euro, beziehungsweise ab dem Jahr 2030 bei 3.500 Euro - zuzüglich erhaltener Zulagen - einen Deckel geben. Steuerfreie Einzahlungen werden also in deutlich größerem Umfang steuerlich berücksichtigt als bisher. Mehr kann man dann aber pro Jahr nicht in ein gefördertes Vorsorgedepot einzahlen. Allerdings ist keiner daran gehindert, darüber hinaus privat mit anderen Finanzprodukten vorzusorgen.
Der Referentenentwurf des Gesetzes ist Ende September vom Finanzministerium veröffentlicht worden. Wie geht es mit dem Gesetz jetzt weiter und wann kann es in Kraft treten?
Der Referentenentwurf wird bis zum 18. Oktober öffentlich konsultiert werden. Wir erwarten, dass einige Verbesserungsvorschläge eingehen werden. Die Bundesregierung wird dann einen Regierungsentwurf vorlegen. Das soll noch in diesem Jahr geschehen, damit dann das Gesetz im kommenden Jahr im Bundestag und Bundesrat beschlossen werden und zum 1. Januar 2026 in Kraft treten kann.
Wichtig ist mir, dass auch Selbständige in das System einbezogen werden können
Wichtig ist mir dabei, dass wir im Regierungsentwurf auch eine Lösung anbieten, wie Selbständige in das System einbezogen werden können. Bisher richtet es sich vor allem an Pflichtversicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Stichwort Verbesserungsvorschläge: Verbraucherschützer äußern die Befürchtung, finanziell gut gebildete Menschen, die ohnehin richtig vorsorgen, bekämen mit dem Gesetz zusätzlich eine Förderung. Menschen, die in Finanzfragen unsicher sind, liefen dagegen Gefahr, von Beratern weiter in Garantie-Produkte gebracht zu werden. Kann man das lösen?
Wir haben gerade in finanziell vulnerablen Gruppen wenig Finanzwissen, das ist empirisch gut belegt. Was wir deswegen tun: Es wird online eine einfach gestaltete Plattform zum Vergleich geben, bei dem jeder Konditionen und Kosten unterschiedlicher Anbieter analysieren kann. Außerdem können einfach gestaltete Referenz-Depots angeboten werden, die sich gut für weniger erfahrene Anlegerinnen und Anleger eignen.
Das Bundesfinanzministerium und das Bundesbildungsministerium haben zudem eine Finanzbildungs-Initiative ins Leben gerufen. Und: Wir haben die digitale Rentenübersicht eingeführt, bei der ab dem 1. Januar 2025 auch Versicherungsunternehmen ihre Daten hinterlegen müssen. Da können Sie also auf einen Blick sehen, wie es um Ihre Rente – gesetzlich plus bald privat – bestellt ist. Trotzdem werden Menschen auch weiterhin persönliche Beratung brauchen. Beratung hat ihren Wert und es wird auch eine Möglichkeit für die Menschen geben, die Beratung gegenchecken zu lassen.