Top-Notenbanker der EZB fordern mehr Engagement für EU-Kapitalmarktunion
Frankfurt (Reuters) - Führende Währungshüter der Europäischen Zentralbank (EZB) haben angesichts der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten dazu aufgerufen, bei der Vereinheitlichung der Finanzmärkte sowie bei der Bankenunion in Europa endlich voranzukommen.
Die Kapitalmarktunion sei von entscheidender Bedeutung, um die europäische Wirtschaft dynamischer und technologisch fortschrittlicher zu machen, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Freitag auf dem European Banking Congress in Frankfurt. "Die Dringlichkeit, unsere Kapitalmärkte zu vereinheitlichen, hat zugenommen", sagte sie. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel rief zu mehr Zusammenhalt in Europa auf, um den Herausforderungen zu begegnen, die sich aus den Ergebnissen der US-Wahl für Europa ergäben. "Dafür aber ist Kompromissbereitschaft auf allen Seiten erforderlich," sagte er.
In der EU wird seit Jahren über eine Kapitalmarktunion geredet, der allerdings immer noch sehr unterschiedliche nationale Gesetze zu Insolvenzen, der Besteuerung von Kapitalgewinnen und Börsengängen entgegenstehen. Große Fortschritte gibt es nicht. Die zersplitterten Kapitalmärkte gelten als großer Nachteil im Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsregionen. Auch bei der Vollendung der Bankenunion in Europa hakt es. Denn die dabei vorgesehene gemeinsame Einlagensicherung für Sparer ist unter den EU-Ländern nach wie vor umstritten.
"Obgleich Banken eine wesentliche Rolle in der europäischen Wirtschaft spielen, wissen wir, dass integrierte Kapitalmärkte für die Finanzierung bahnbrechender Innovationen im Frühstadium erforderlich sind," sagte Lagarde. Seit vergangenem Jahr sei die abnehmende Bedeutung Europas bei Innovationen deutlicher zutage getreten. "Die technologische Kluft zwischen den USA und Europa ist mittlerweile unverkennbar." Auch das geopolitische Umfeld sei ungünstiger geworden. Die Bedrohung des Freihandels aus allen Teilen der Welt nehme zu. Als offenste der großen Volkswirtschaften sei die EU diesen Trends stärker ausgesetzt als andere. Die Kapitalmarktunion stehe im Mittelpunkt all dieser Herausforderungen.
Der designierte US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, Zölle von 60 Prozent auf Importe aus China zu erheben und bis zu 20 Prozent auf Importe aus anderen Ländern. Die in Aussicht gestellten Zölle und die dadurch zu erwartenden Konflikte im Welthandel dürften in der Folge auch die Wirtschaft im Euroraum treffen. "Die Einführung solcher Zölle würde internationale Handelskonflikte neu entfachen und unsere multilaterale Ordnung weiter beeinträchtigen", sagte Nagel.
NAGEL FORDERT NEUE DENKWEISE
Auch Nagel ist ein Dorn im Auge, dass die Finanzmärkte in Europa weiterhin stark zersplittert sind. "Und das liegt nicht zuletzt am Zögern der Mitgliedsstaaten, nationale Interessen der gemeinsamen Sache unterzuordnen", sagte er. Diese Denkweise müsse überwunden werden. Nagel wies auch auf die immer noch unvollendete Bankenunion hin. Nach wie vor gebe es keine gemeinsame Einlagensicherung für Sparer in Europa. Auch eine Lösung für den tödlichen Kreislauf (doom loop) zwischen Banken und Staaten sei noch nicht gefunden worden.
Geldhäuser halten immer noch sehr viele Staatsanleihen des eigenen Landes in ihren Büchern. Sollten Staaten wegen zu hoher Verschuldung in die Bredouille geraten, würden die heimischen Banken mit nach unten gerissen. Bei beiden Themen, der Einlagensicherung und der Staatsanleihen-Problematik, müsse es eine Bereitschaft zu Kompromissen geben, forderte Nagel.
Unterstützung bekamen Lagarde und Nagel auf dem Kongress vom neuen Bundesfinanzminister Jörg Kukies. Die EU müsse bei der Kapitalmarktunion aufholen, sagte der SPD-Politiker. Es brauche ambitionierte Schritte nach vorne. Kukies forderte eine zielgenauere und weniger bürokratische Regulierung für Unternehmen, die investieren wollen. Außerdem müsse der Verbriefungsmarkt wieder ausgebaut werden. Dabei werden Kredite an Investoren ausgelagert, um die Risiken auf mehr Schultern zu verteilen. In der Finanzkrise 2008 hatte dies allerdings zu einem massiven Vertrauensverlust zwischen Banken und Investoren geführt.
Auch Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau wies auf die Dringlichkeit hin. "Der Ausgang der US-Wahlen muss offensichtlich ein weiterer Weckruf sein", sagte er auf der Veranstaltung. Die Zukunft werde mehr Zölle, mehr Haushaltsdefizite und weniger Regulierung bringen, nicht zuletzt im Finanzbereich. Dies könnte größere Risiken für die Weltwirtschaft bedeuten. Es werde mehr Volatilität geben im Finanzbereich, weniger Handel und damit weniger Wachstum, auch in Europa, warnte er.
Um bei der Kapitalmarktunion voranzukommen schlug Lagarde ein sogenanntes optionales 28.-EU-Regime vor, ein separates EU-Regelwerk neben den nationalen Vorschriften. Bestimmte Wertpapieremittenten könnten sich dann für dieses Regelwerk entscheiden. Diese würden der EZB-Präsidentin zufolge dann von einem einheitlichen Unternehmens- und Wertpapierrecht profitieren, das eine grenzüberschreitende Platzierung von Wertpapieren, das Halten und die Abwicklung erleichtern würde.
(Bericht von Frank Siebelt, Balazs Koranyi, Christian Krämer; redigiert von Kerstin Dörr; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)