EZB-Direktorin Schnabel: Zinsen nur graduell senken

Die Europäische Zentralbank (EZB) kann aus Sicht ihrer Direktorin Isabel Schnabel die Zinszügel graduell lockern, sollten die hereinkommenden Inflationsdaten in der Spur bleiben.
Die Währungshüter sollten allerdings die Zinsen nicht so weit senken, dass damit die Konjunktur angeheizt werde, sagte das Mitglied des sechsköpfigen Führungsteams der EZB der Agentur Bloomberg in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview. "Ich würde davor warnen, zu weit zu gehen", sagte sie.
"Die Finanzmärkte scheinen davon auszugehen, dass wir in den akkommodierenden Bereich vordringen müssen", sagte Schnabel. Das heißt, dass die Geldpolitik das Wirtschaftswachstum ankurbeln solle. "Aus heutiger Sicht halte ich das nicht für angemessen", fügte sie hinzu. Das schiebe die Investitionen im Euroraum womöglich nicht an. Dazu ist Schnabel zufolge Strukturpolitik erforderlich. Zu Überlegungen mancher Währungshüter, die EZB könne auch stärker voranschreiten mit Zinssenkungen von einem halben Prozentpunkt, sagte die deutsche Volkswirtin: "Ich schließe niemals etwas aus, aber ich habe eine starke Präferenz für ein graduelles Vorgehen."
Die EZB hatte im Juni die Zinswende eingeleitet und dann im September und im Oktober die Zinsen erneut nach unten gesetzt. Dabei setzte sie den Einlagensatz, der als Leitzins im Euroraum gilt, jeweils um 0,25 Prozentpunkte nach unten. Aktuell liegt der Satz bei 3,25 Prozent. Gegenwärtig wird unter den Euro-Wächtern diskutiert, wie weit die Zinsen noch sinken sollen. Portugals Notenbankchef Mario Centeno hatte für die nächste Zinssitzung im Dezember angesichts des schwachen Wirtschaftswachstums auch einen großen Zinsschritt um 0,50 Prozentpunkte nicht ausschließen wollen. Am 12. Dezember steht der nächste EZB-Zinsentscheid an.
MEHRERE ZINSSCHRITTE ERWARTET
Am Finanzmarkt wird derzeit davon ausgegangen, dass die EZB auf jeder ihrer kommenden Zinssitzungen bis weit in das nächste Jahr hinein jeweils die Zinsen herabsetzen wird. Für Ende Dezember 2025 wird am Finanzmarkt ein Zinsniveau beim Einlagensatz von etwa 1,75 Prozent erwartet. Das läge nach Einschätzung mancher Analysten unter dem sogenannten neutralen Zinsniveau, das eine Wirtschaft weder bremst noch anheizt. Die Analysten der Deutschen Bank beispielsweise hatten das neutrale Zinsniveau bei etwa 2,0 bis 2,50 Prozent angesiedelt. Aber es gibt auch andere Schätzungen.
Schnabel zufolge kann die EZB die Zinsen bis in das neutrale Niveau nach unten setzen, sollten die Inflationsdaten mitspielen. "Angesichts der Inflationsaussichten denke ich, dass wir uns graduell in Richtung neutral bewegen können, wenn die eingehenden Daten unser Basisszenario weiter bestätigen", sagte sie der Agentur. Die Sorge mancher Währungshüter, dass die Inflation schneller sinken könne und daher die Gefahr bestehe, dass die EZB ihr Inflationsziel von 2,0 Prozent nach unten hin verfehlen könnte, teilte Schnabel nicht. "Die Risiken für die Inflation sind nun ausgewogener", sagte sie. Ein großes Risiko für ein Unterschreiten der Zielmarke, insbesondere ein derartiges Risiko, das ein Einschreiten der Notenbank rechtfertigen würde, sehe sie nicht.