Dax auf Tauchfahrt – „Alle Optionen offen halten“ ist nicht genug – Draghi schickt Leitindex in die Tiefe

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

In der Liebe und an der Börse ist es nie gut, wenn Erwartungen enttäuscht werden. Nach dem Zinsentscheid der EZB fragt zwar niemand, ob die Hoffnungen zuvor einfach zu hoch waren, aber die Enttäuschung gibt den Weg vor. Für den Dax heißt das ein dickes rotes Minus. Nachdem der Leitindex noch gut in den Tag gestartet war, sorgten schon erste Zweifel an der EZB-Entscheidung dafür, dass der Leitindex einen guten Teil seiner Gewinne wieder abgegeben hat. Als die Entscheidung dann öffentlich war legte der Dax zwar wieder ein Stück zu, aber dann ging es kräftig abwärts. Eigentlich hat die EZB nämlich gar nichts gemacht.

Wenigstens die Ankündigung eines neuen Anleihenkauf-Programms hätte es doch Bitteschön sein dürfen Herr Draghi. Aber die EZB hat auf ihrer heutigen Sitzung nicht wirklich viel geändert. EZB-Chef Mario Draghi hat sich Beobachtern zufolge weniger „taubenhaft“ geäußert als erwartet, da er das Risiko für eine Rezession im Euroraum als ziemlich niedrig erachtete.

Damit sorgt Draghi für eine Enttäuschung unter den Anlegern. Schließlich war ja schon zuvor der ifo-Geschäftsklima-Index auf den tiefsten Stand seit April 2013 gefallen. Das Barometer für das Geschäftsklima fiel im Juli auf 95,7 Punkte von 97,5 Zählern, wie das Münchner Ifo-Institut am Donnerstag zu seiner monatlichen Umfrage unter rund 9000 Managern mitteilte. Das ist der niedrigste Wert seit April 2013. Ökonomen hatten lediglich mit einem Rückgang auf 97,1 Punkte gerechnet. „Die deutsche Konjunktur befindet sich in schwierigem Fahrwasser“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Die Führungskräfte beurteilten ihre Geschäftslage schlechter. Auch die Aussichten für die kommenden sechs Monate und damit bis ins nächste Jahr hinein werden skeptischer gesehen.

Diese eigentlich nicht berauschende Nachricht ist doch aber im Umkehrschluss gut, da die EZB doch durch solche Nachrichten zum Handeln gezwungen ist. Allerdings scheint Mario Draghi und seine Kollegen die Lage mittlerweile etwas anders zu sehen. Vor ein paar Wochen bei einer Rede in Portugal hatte Draghi sich allerdings etwas konkreter zu geldpolitischen Maßnahmen der EZB geäußert. Danach gingen die Spekulationen sogar soweit, dass über ein neues Anleihenkauf-Programm bis Ende des Jahres disskutiert wurde. Und dann jetzt das: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Leitzinsen am Donnerstag unverändert gelassen. EZB-Präsident Mario Draghi signalisierte erneut eine Lockerung der Geldpolitik. Er bekräftigte frühere Aussagen, dass die Notenbank bereit sei, alle geldpolitischen Instrumente anzupassen. Für die Eurozone sehe er jedoch keine Rezessionsgefahr. Hat Draghi denn nicht auf den ifo-Geschäftsklimaindex geschaut?

Für die Experten ist die Entscheidung der EZB allerdings kein Beinbruch. Sie sehen ein verfrührtes Weihnachtsgeschenk auf die Anleger zukommen:

Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank:

„Die EZB wird Märkten und Wirtschaft ab Herbst ein vorgezogenes Weihnachtspaket präsentieren. Die Absenkung des Einlagensatzes wird im September beginnen und kann deutlich weiter gehen als lediglich 10 oder 20 Basispunkte. Das Anleiheprogramm wird vor Jahresende wieder aufleben. (…) Positive Zinsen sind damit in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre so gut wie ausgeschlossen, wenn nicht für die gesamte kommende Dekade. EZB-Präsident Draghi bleibt sich damit bis ganz zum Schluss seiner Amtszeit treu, indem er sogar mehr liefert als die Finanzmärkte ohnehin schon erwartet haben. Damit wird es nochmal günstiger, sich zu verschulden. Umgekehrt bedeutet das bei Sparkonten auf Jahre hinaus – nach Einbeziehung der Inflation – eine Wertminderung für das Vermögen. Profitieren werden von dieser Entscheidung insbesondere die Aktienmärkte.“

Uwe Burkert, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW):

„Die EZB macht klare Ansagen. Im September kann man eine Senkung des Einlagesatzes sicher erwarten. Außerdem dürften die Banken im Euroraum in Sachen Negativzins entlastet werden. Das wird die Akzeptanz der Geldpolitik erhöhen. (…) Dass die EZB so stark reagiert, ist auf die sich rasant eintrübende Konjunkturperspektive für den Euroraum zurückzuführen. Vielleicht droht sogar eine neue Rezession. Die EZB reagiert sozusagen in Echtzeit. Die Frage ist aber, ob die Wirkung der Geldpolitik auch in Echtzeit erfolgt. Die Belastung kommt ja vor allem von der zunehmend protektionistischen Politik her, vor allem aus den USA. Teilweise auch aus Sonderfaktoren in Deutschland, Frankreich und Italien. Aber klar scheint nun, dass wir die Welt negativer Zinsen so bald nicht mehr verlassen werden.“

Carsten Brzeski, Chefökonom der ING Bank Deutschland:

„Als ob es heute nicht schon heiß genug wäre in der Eurozone, ließen die Erwartungen für das heutige EZB-Treffen auch die Temperaturen steigen. Die EZB schreckte vor einer Zinssenkung oder einem neuen geldpolitischen Anreiz zurück, aber bereitete die Märkte eindeutig auf eine Zinssenkung und womöglich sogar mehr auf dem Treffen Ende September vor. (…) Es sieht jetzt zunehmend danach aus, als ob das September-Treffen nicht nur eine Maßnahme, sondern ein ganzes Paket verschiedener Maßnahmen bringen wird.“

Daniel Lenz, Experte für Zinsstrategie und Staatsanleihen der DZ Bank:

„Die EZB verzichtet bei ihrer heutigen Ratssitzung zwar darauf, bereits neue Lockerungsmaßnahmen zu beschließen, ihre Ankündigungen sind aber weit mehr als vage Andeutungen. Die Währungshüter stehen parat, sich mit weiteren umfangreichen geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen gegen den schwindenden Preisdruck und wirtschaftliche Risiken zu stemmen. Der Ende Oktober scheidende EZB-Chef beschönigt bei der Einschätzung der wirtschaftlichen Lage nichts. Der Ausblick werde ’schlechter und schlechter‘.“

Iris Bethge, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB):

„Die Ankündigung der EZB, die ultralockere Geldpolitik erneut intensivieren zu wollen, ist eine wiederholte und schwere Belastung für Banken, Finanzstabilität, Sparer und Unternehmen. Die langanhaltende Niedrigzinsphase und die massive Liquiditätsschwemme durch die EZB drängen Anleger bei der Suche nach auskömmlichen Renditen in höhere Risiken und verzerren die Preise in vielen Anlageklassen. (…) Die EZB bereitet nun kommunikativ weitere geldpolitische Extremmaßnahmen vor und droht damit, die schädlichen Nebenwirkungen für Sparer, Banken und Unternehmen zu zementieren. Leider verlängert die EZB die Dosis der falschen Medizin.“

Robert Greil, Chefstratege Merck Finck Privatbankiers:

„Die nächste Liquiditätswelle wird wohl ab Herbst über die Märkte hereinbrechen. Mit seinen Aussagen zum ’schlechter und schlechteren‘ Wachstumsausblick und zu den schwachen Inflationsperspektiven hat Mario Draghi den Boden dafür bereitet. (…) Die EZB dürfte damit ihre Geldschleusen im Herbst noch ein gutes Stück weiter öffnen. Draghi will die Maßnahmen wohl noch vor seiner Staffel-Übergabe an Christine Lagarde einleiten.“

Läuft alles irgendwie unter dem Motto aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Aber mal ganz ehrlich. Es hätte sich iregdnewie nach den ganzen Gewinnwarnungen auch nicht richtig angefühlt, wenn der Dax weiter gen Norden marschiert wäre. Schon im Laufe des Tages haben sich die Anleger wieder darum bemüht, dass Risiko etwas einzudämmen. Mal abgesehen von der Deutschen Bank waren nur defensive Titel im Plus. Und dieser Trend hat sich nach der EZB Entscheidung noch etwas verstärkt. Auf einmal sind die soliden Titel wieder solide und die Titel mit Gewinnwarnung wieder nicht so stark gefragt. Hat die Börse eigentlich nicht immer so funktioniert, als die Notenabnk noch nicht so im Fokus standen?

Back to the roots

Wer liefert wird an den Märkten belohnt, wer nicht liefert abgestraft. Ohne frisches Geld der EZB scheinen sich die Anleger wieder auf diese Tugend zu besinnen. Aber keine Sorge die Spekulation auf frisches Geld der EZB dürfte Mitte September bestimmt erneut startet und zuvor hat ja auch schon die Fed die Zinswende eingeleitet. Dann sind weiterhin schlechte US-Arbeitsmarktdaten für den Markt gut und bessere Arbeitslosen-Zahlen Gift. Wie lange das wohl noch gut geht?

Von Markus Weingran

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