Kutzers Zwischenruf: Kurzsichtig

Hermann Kutzer · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Hallo allerseits! Heute wieder mal eine Schaukelbörse, die weder die Bullen noch die Bären aufmuntern kann. Dazu krieg ich jetzt erste Hinweise zur bevorstehenden Berichtssaison (fürs erste Quartal) sowie Ausblicke aufs zweite Quartal. Die Herren (Entschuldigung: Die Damen und Herren …) Volkswirte und Analysten bleiben noch vorsichtig, überwiegend vorsichtig-optimistisch. Aber was nutzt uns eine Aussage auf Sicht von Monaten?

In der digitalisierten Welt geht einfach alles schneller (mit Ausnahme der politischen Entscheidungen). Eben auch die Veränderungen. Deshalb müssen Aussagen zu Tendenzen und Trends häufiger angepasst werden. Man wird kurzsichtiger. Die Börse könnte auch mit dem Rennsport verglichen werden: In der Formel 1 zählten früher kurzfristig die Rundenzeiten (= 1 Geschäftsjahr), inzwischen analysieren die Kommentatoren - schon an den Trainingstagen - zusätzlich die Zeiten in den vier Sektoren einer Runde.

Kann man überhaupt noch das Fernglas aufsetzen, um die Börsenperspektiven zu erkennen? Schön wär’s, aber es funktioniert immer seltener. Nehmen wir eine aktuelle Analyse, deren Autoren erkennbar versuchen, von gestern bis morgen zu berücksichtigen (Beachten Sie die Zeithinweise): Als ob das ganze Gezerre rund um den Handelsstreit zwischen den USA und China sowie um den anstehenden Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union die Märkte und die Anleger hierzulande nicht schon genug in Atem halten würde. Nein, jetzt kommt auch noch hinzu, dass der Euroland-Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe im März vollends in den Schrumpfungsbereich abgerutscht ist. Harte Zahlen wie die deutschen Februardaten zu Auftragseingängen und Produktion machen ebenfalls wenig Freude. Wen wundert es da, dass viele sich aus Angst vor einer Rezession in sichere Geldanlagen, namentlich in deutsche Staatsanleihen flüchten? Die Fed will nun keine nennenswerten weiteren Leitzinserhöhungen mehr vornehmen, und ob die EZB in absehbarer Zeit überhaupt noch ihre Leitzinsen erhöhen wird, steht in den Sternen.

Versöhnlich klingt der Schluss mit Blick auf Konjunktur und Aktien: „Noch ist es nicht entschieden, ob im Lauf dieses oder des kommenden Jahres eine ausgeprägte globale Schwächephase ansteht oder die gegenwärtigen Risiko-Diskussionen - wie so oft - nur viel Lärm um nichts sind. Aus unserer Sicht ist die aktuelle Entwicklung auch in Europa für ein baldiges Abrutschen in eine globale Rezession einfach zu stabil.“ Jo, sehe ich eigentlich auch so, ohne dass meine Skepsis schon schwindet. Das und anderes spricht jedenfalls mittel- bis langfristig für Aktien.

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