Kutzers Zwischenruf: Nach der Wahl ist nach der Qual

Hermann Kutzer · Uhr

Schade, dass heute keine Börse ist. Ich würde nämlich gern die spontane Reaktion der Märkte auf Joe Bidens Wahlsieg beobachten. Anderen Marktteilnehmern geht’s sicher ähnlich. Denn ein Berg von Hoffnungen liegt auf dem präsidialen Schreibtisch im Oval Office. Nicht alle will und kann der Neue erfüllen. Die inneramerikanische Spaltung zu überwinden, wird eine zentrale Aufgabe sein. Für Europa sollte eine Wiederbelebung der traditionellen transatlantischen Freundschaft im Mittelpunkt stehen. Das wiederum wäre auch aus Sicht von Wirtschaft und Börse wünschenswert - trotz des internationalen Wettbewerbs.

Das macht auch die erste Stellungnahme von Verbandsseite deutlich: „Familienunternehmer hoffen auf Kooperation statt Konflikte.“ Denn die Hoffnung der Familienunternehmer in Deutschland ist groß, dass sich die Handelsbeziehungen und das transatlantische Verhältnis unter Joe Biden wieder verbessern. Ihr Verbandspräsident Reinhold von Eben-Worlée betonte heute Morgen, dass die USA und Europa jetzt alles daran setzen sollten, die Vorteile eines freien Handels zu nutzen. Wichtig wäre, dass die USA ihre Blockade in der Welthandelsorganisation aufgeben und wieder stärker auf supranationale Organisationen setzen. Gerade für die bevorstehenden Herausforderungen braucht es internationale Lösungen. So lassen die Ankündigungen von Biden, dem Pariser Klimaabkommen wieder beitreten zu wollen, hoffen, dass man einen gemeinsamen Weg des Klimaschutzes und vielleicht sogar der Installierung kompatibler Emissions-Zertifikatesysteme findet.

Bidens Wahl bringt nach Expertenansicht der Weltwirtschaft und in gewissem Umfang auch der deutschen Wirtschaft positive Impulse. Zu diesem Ergebnis kommt eine Kurzstudie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Den Hauptgrund für ihre Einschätzung sehen die Forscher in der Bereitschaft der neuen US-Regierung zu einem großangelegten neuen Konjunktur- und Investitionsprogramm. Dieses erhöhe die Chance auf eine rasche wirtschaftliche Erholung der USA nach der Corona-Krise. Der Machtwechsel in Washington dürfte Konsequenzen für drei zentrale Bereiche bringen: die US-Konjunktur, die amerikanische Handelspolitik und die nationale und internationale Klimapolitik der USA. Es sei positiv, dass die Zeit oft brachial-erratischer Eskalationen in Handelsfragen nun vorbei sein dürfte und eine Präsidentschaft endet, die Steuersenkungen für Wohlhabende als wichtiges konjunkturpolitisches Instrument verkauft hat, urteilte der wissenschaftliche Direktor des IMK, Sebastian Dullien. Die neue Administration plane außerdem bedeutende Investitionen sowie Maßnahmen, die für mehr Beschäftigung und eine höhere Kaufkraft auch von Mittelschichts- und ärmeren Haushalten sorgen.

Entspannung ist angesagt. Und das Ende des Trump-ismus. Make America great again, Joe Biden, aber anders als Dein Vorgänger! Und wo möglich zusammen mit den politischen und Handelspartnern. Wall Street wird das honorieren. US-Aktien (nicht nur die Tech-Giganten) gehören für mich in jedes international diversifiziertes Depot!

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