onvista-Börsenfuchs: „Die spinnen, die Anleger“ – oder nicht?

Der onvista-Börsenfuchs · Uhr

Hallo Leute! Damit keine Missverständnisse entstehen: Ich hab‘ nix gegen Stimmungsumfragen. Und schon gar nix gegen Börsianer aller Art. Manchmal erlaube ich mir aber, an deren Schwarmintelligenz zu zweifeln. Ob zu Recht oder nicht, wissen wir erst später. Als mir vorhin der neue Sentix-Konjunkturindex auf den Monitor flatterte, kam spontan die Erinnerung an Asterix. Denn der Lieblingsspruch seines Kumpels Obelix ist längst legendär: „Die Spinnen, die Römer.“ Als Derivat wird die Zielgruppe gerne ausgetauscht.

Um wessen Meinung geht es eigentlich? Sentix gilt als Pionier und führende Anbieter von Sentiment-Analysen in Europa. Seit 2001 werden wöchentlich mehr als 5.000 Anleger aus über 20 Ländern (davon über 1.000 institutionelle) zu ihren Erwartungen an die Finanzmärkte sowie zur wirtschaftlichen Entwicklung und zu ihren Portfoliomaßnahmen befragt. Die Ergebnisse der Umfrage sind repräsentativ für eine breit diversifizierte Investorengruppe.

Haben die langjährig Hausse-verwöhnten Anleger das Gefühl für die Risiken verloren? Die Sentix-Umfrage kommt nämlich zu folgenden Ergebnissen: Es geht wieder aufwärts! Die Konjunkturindikatoren schaffen im November einen Dreh. Mit 18,3 Punkten steigt der Gesamtindex für die Eurozone das erste Mal seit Juli 2021 an, und das trotz nochmals rückläufiger Lagewerte. Die Verbesserung resultiert aufgrund von deutlich gestiegenen Erwartungswerten, die um 5,3 Punkte zulegen können. Für Deutschland stagniert der Gesamtindex nochmals, die Lagewerte geben sogar nochmals deutlich um 6,2 Punkte nach. Erfreulicherweise legt jedoch die Erwartungskomponente um 5,3 Punkte zu. Die Wende scheint geschafft!

Kommentieren die Sentix-Analysten: Damit bestätigt sich unsere These für die Weltwirtschaft, dass es sich bei der jüngsten Abkühlung um einen „mid cycle slowdown“ handelt. Allen voran in den USA, aber auch in Asien steigen die Konjunkturerwartungen an.

Es kommt mir so vor, als hätten die Investoren noch nix von Corona und der vierten Welle gehört. Glauben denn die Anleger, sie könnten die jüngste, dramatische Entwicklung einfach ausblenden, deren globale Folgen für alle Bereiche von Gesellschaft und Wirtschaft noch gar nicht absehbar sin d?

Okay, die konjunkturelle Abkühlung läuft langsam aus. Die relativ schlechteren Lagewerte der Befragung „verarbeiten“ noch die über Monate angezeigte Abschwächung. Lieferengpässe und die hohe Inflation machen den Unternehmen zu schaffen und sorgen für einen gewissen Bremseffekt. Die Anleger gehen jedoch nur von einer temporären Belastung aus und blicken daher etwas zuversichtlicher auf die nächsten sechs Monate. Der Konjunktur-Gesamtindex für die Eurozone profitiert vom Dreh in den Erwartungen. Damit ist der Abwärtstrend der vergangenen Monate gebrochen, die bislang ausbleibende Herbstbelebung findet nun etwas verspätet statt. Das bedrohliche Thema „Konjunkturwende“ ist damit vom Tisch.

Schön wär’s ja. Aber nochmal: Das Ausmaß und damit die Folgen dieser Pandemie sind unberechenbar, sprich: unabsehbar. Dass die Börsianer Corona schon im ersten Halbjahr 2020 abgehakt hatten, war mutig und ist bis jetzt bestätigt worden. Bis jetzt. Doch ist die jüngste Tendenz der Infektionszahlen mehr als ein Alarmsignal. Die spinnen natürlich nicht, die Anleger. Aber sie neigen schon mal zu Übertreibungen, die wiederum von der beispiellosen Geldpolitik der Zentralbanken geschürt werden. Mein Bauchgefühl warnt jetzt jedenfalls vor ungehemmten kurz- bis mittelfristigen Aktienkäufen.

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