ROUNDUP: Merkel für konstruktives EU-Verhältnis zur Türkei - Kurz gibt Kontra

dpa-AFX · Uhr

BRÜSSEL (dpa-AFX) - Beim EU-Sondergipfel hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für ein konstruktives Verhältnis zur Türkei stark gemacht - trotz aller Differenzen. Das Land sei Partner in der Nato und in der Flüchtlingsfrage, sagte die CDU-Politikerin am Donnerstag in Brüssel. Bei der Lösung der Spannungen im östlichen Mittelmeer spiele die Diplomatie die herausragende Rolle. Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz gab jedoch Kontra: Er forderte neue Sanktionen gegen die Türkei und den Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit Ankara.

Hintergrund ist, dass die Türkei im östlichen Mittelmeer Erdgasfelder erforschen lässt, was Griechenland und Zypern für illegal halten. Die EU hatte der Türkei deshalb Ende August ein Ultimatum gesetzt und mit zusätzlichen Sanktionen gedroht. EU-Ratschef Charles Michel kündigte vor dem zweitägigen Gipfel eine Grundsatzdebatte über das Verhältnis zur Türkei an. Der Erdgasstreit blockiert die EU in einer weiteren wichtigen außenpolitischen Frage: Sanktionen gegen Politiker in Belarus wegen Wahlfälschung und Gewalt gegen die Opposition.

Die 27 Länder sind sich eigentlich einig, Strafmaßnahmen zu verhängen. Zypern blockierte bisher jedoch, weil es gleichzeitig Sanktionen gegen die Türkei durchsetzen will. Der Entwurf der Gipfelerklärung geht nun davon aus, dass sich die Staats- und Regierungschefs einigen können und Zypern den Widerstand aufgibt. Darin heißt es, der Gipfel sei sich "einig, dass restriktive Maßnahmen verhängt werden sollten und ruft den Rat auf, die Entscheidung unverzüglich zu treffen".

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sagte, sie sei sicher, dass sich der Gipfel voll hinter Griechenland und Zypern stelle. Sie richtete einen Appell an die Türkei: "Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder steigen die Spannungen weiter, das wollen wir nicht. Oder es gibt eine Deeskalation und wir bewegen uns hin zu einer konstruktiven Beziehung. Das wollen wir." Für beide Fälle habe die EU die nötigen Instrumente zur Hand.

Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis sprach ebenfalls von zwei Wegen für die Türkei: die Provokationen zu stoppen und das Thema mit diplomatischen Mitteln zu lösen oder weiter zu provozieren und sich mit Sanktionen konfrontiert zu sehen.

Österreichs Kanzler Kurz plädierte schon jetzt für Strafmaßnahmen und begründete dies nicht nur mit dem Streit über die Erdgas-Erkundung, sondern auch mit Drohungen Ankaras in der Flüchtlingspolitik. "Wir haben es immer wieder erlebt, dass die Türkei Migranten als Waffe gegenüber Europa eingesetzt und versucht hat, die Europäische Union zu erpressen. Auch das ist nicht akzeptabel." Auch für den Abbruch der Beitrittsgespräche werde er sich stark machen.

Michel hatte den Sondergipfel einberufen, um Geschlossenheit und Entschlossenheit der EU zu demonstrieren. Neben der Türkei und Belarus standen auch die Beziehungen zu China, die Vergiftung des Oppositionellen Alexej Nawalny in Russland und der Konflikt in Berg-Karabach auf der Tagesordnung. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte, nach seinen Informationen seien in Berg-Karabach auch Kämpfer dschihadistischer Gruppen aus Syrien aktiv, die über die Türkei in die Region kamen. Das sei eine "sehr ernste Sache".

Thema ist zudem die "Strategische Autonomie" der EU bei wichtigen Gütern wie Medikamenten, aber auch bei digitaler Infrastuktur. Ziel sind dem Entwurf der Gipfelerklärung zufolge zum Beispiel eigene europäische Computer-Clouds sowie ein einheitliches europäisches System zur elektronischen Identifizierung - genannt e-ID. "Wir wollen unbedingt, dass Europa die Lücke im Vergleich zu den USA und China schließt, die viel in digitale Infrastruktur investiert haben und nun vorne liegen", sagte Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte.

Der Sondergipfel sollte ursprünglich schon vergangene Woche stattfinden, wurde aber wegen eines Corona-Falls im Umfeld Michels verschoben./vsr/DP/fba

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