Schnelle Erholung oder totaler Zusammenbruch?

Harald Weygand · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Dass der Wirtschaftseinbruch in Folge der Corona-Pandemie tiefer sein wird als nach der Finanzkrise und als in der Weltwirtschaftskrise, das steht schon jetzt fest. Entscheidender als die Schwere dürfte allerdings die Dauer sein: Beschränkt sich das akute Krisengeschehen auf wenige Monate und kann sich die Wirtschaft anschließend schnell wieder erholen, könnte alles halb so schlimm sein. Anders sieht es hingegen aus, wenn die Krise zum Dauerzustand wird und weite Teile der Wirtschaft belastet werden, bis ein Impfstoff zur Verfügung steht oder eine Herdenimmunität erreicht ist.

Im Englischen hat es sich eingebürgert, den Verlauf einer Krise mit einem Buchstaben zu bezeichnen, dessen Form an den zeitlichen Verlauf erinnert. In diesem Artikel werden fünf mögliche Szenarien für den weiteren Verlauf der Corona-Krise vorgestellt.

Das V-Szenario: Alles ist halb so schlimm!

Das V-Szenario steht für einen raschen Wirtschaftseinbruch, auf den (fast) ebenso rasch eine deutliche und (fast) vollständige Erholung folgt. An den Aktienmärkten wird, angetrieben von den Lockerungen des Lockdowns, aktuell dieses Szenario gespielt. Die Wirtschaft wird zwar ein paar Monate lang hart getroffen, nach ein paar Monaten ist der Spuk aber vorbei und die Wirtschaftsleistung kann sich schnell wieder erholen. Zwar wird es einzelne Branchen geben (insbesondere Touristik und Gastronomie) die wegen der Abstandsregeln länger mit Problemen zu kämpfen haben, dies wird aber ausgeglichen durch andere Branchen, die von der neuen Situation profitieren, zum Beispiel indem immer mehr Geschäftsprozesse ins Internet verlagert werden.

Das U-Szenario: Die Erholung dauert länger

Das U-Szenario entspricht im Wesentlichen dem V-Szenario, allerdings wird der Einbruch tiefer und die Erholung dauert länger. Hat die Konjunktur den Boden erreicht, geht es nicht sofort wieder aufwärts, sondern die Bodenbildung nimmt mehr Zeit in Anspruch. Entsprechend werden auch die Produktivitätsverluste größer ausfallen. Trotzdem: Nachdem die Nacht am dunkelsten ist, wird es wieder heller. Auf die schwere Krise folgt mittelfristig eine Erholung.

Das W-Szenario: Pingpong mit Wirtschaft und Virus

Das W-Szenario steht für mehr als einen Konjunktureinbruch. Auf den initialen Einbruch folgt eine Erholung, auf den mindestens ein weiterer Einbruch folgt. Das W-Szenario könnte beispielsweise durch weitere Wellen der Viruspandemie verursacht werden. Verbreitet sich das Coronavirus wieder schneller oder treten gar Varianten auf, die gefährlicher sind als das jetzige Virus, so könnten neue Lockdowns nötig werden. Muss die Konjunktur immer wieder herunter- und anschließend wieder hochgefahren werden, könnten die wirtschaftlichen Verluste, aber mittelbar auch die Verluste an Menschenleben, enorm werden. Mehr als einen Lockdown wird die Wirtschaft aller Voraussicht nach nur sehr schlecht verkraften. Es würden strukturelle Schäden, nicht nur in der Infrastruktur, sondern auch beispielsweise in der Psychologie der Menschen verursacht, die sich nur sehr schwer wieder beheben lassen. Das W-Szenario könnte katastrophal werden.

Das L-Szenario: Die Erholung fällt aus!

Das L-Szenario steht für einen Konjunktureinbruch, auf den zumindest mittelfristig keine deutliche Erholung folgt. Sollten die neuen Abstandsregeln für mehrere Jahre gelten müssen und sollten Einkommen und Konsumverhalten der Menschen durch die Pandemie längerfristig beschädigt werden, könnte ein L-Szenario wahrscheinlich werden. Die Krise wird zum Dauerzustand, es bleibt bei einer hohen Arbeitslosigkeit und hohen Wohlstandsverlusten, die auch zu politischen Veränderungen bis hin zu Aufständen und Revolutionen führen könnten. Die politischen Entscheider sollten, schon aus Eigeninteresse, ein L-Szenario so gut wie möglich verhindern.

Das I-Szenario: Eine Krise, die niemals endet

Das I-Szenario steht für eine Krise, die niemals endet. So wie der Buchstabe I durch eine einfache Bewegung von oben nach unten aufs Papier gebracht wird, so geht es auch konjunkturell einfach immer weiter abwärts, bis Gesellschaft und Wirtschaft fast vollständig zerstört sind. Sollte eine neue, tödlichere Virus-Variante auftreten, die zu einem dauerhaften, fast vollständigen Stopp der wirtschaftlichen Aktivität führt, könnte dieses Szenario Realität werden. Oder aber die Krise wird zur sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale: Die Nachfrage sinkt, weswegen das Angebot sinkt, weswegen die Nachfrage weiter sinkt, u.s.w. Im Extremfall ist alles denkbar: Totaler Zusammenbruch der Lieferketten, Mangel an Arzneimitteln und Nahrung, Hunger, völliger Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung und nackter Kampf ums Überleben. Die Wahrscheinlichkeit für ein solches Szenario, das muss an dieser Stelle gesagt werden, ist aber glücklicherweise eher gering. In der Geschichte hat eine Krise eigentlich immer auch wieder in absehbarer Zeit zu einer Erholung geführt. Das I-Szenario wird hier nur aus Gründen der Vollständigkeit aufgeführt. Arbeiten die Menschen zusammen, zeigen sich solidarisch und denken auch an das größere Ganze, sollte ein I-Szenario auch unter extremen Umständen vermeidbar sein. Völlig ausgeschlossen ist es aber trotzdem nicht.

Fazit: Alles bleibt möglich

Trotz Ende der Lockdowns ist die Krise noch nicht vorüber und prinzipiell bleiben alle Szenarien weiter möglich. Der Markt hat in den vergangenen Wochen das V-Szenario gespielt: Abgesehen von wenigen Branchen, die auf Sicht von mehreren Jahren Probleme haben werden (insbesondere Touristik und Gastronomie), kommt es zu einer schnellen wirtschaftlichen Erholung und keiner dauerhaften Belastung von Wirtschaft und Gesellschaft durch die Pandemie. Ob der Markt mit seiner Einschätzung richtig liegt oder ob der Optimismus übertrieben ist, wird erst die Zukunft zeigen.

Dieser Beitrag stammt aus der Feder meines Kollegen Oliver Baron.

GodmodeTrader 2020 - Autor: Harald Weygand, Head of Trading)

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