Von heißen Spekulationen, Kostolanys Narren und echten Chancen

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Krypto-Währungen fahren Achterbahn, Cannabis berauscht Anleger und dann ist da noch die neue chinesische Technologiebörse. Der totale Wahnsinn? Sind frei nach André Kostolany die Narren los?

Beim Blick auf den Bitcoin-Chart wird selbst hartgesottenen Börsianern schwindelig – auf jeden rasanten Kursanstieg folgt der mindestens ebenso rasante Absturz. Trotzdem lockt die Kryptowährung selbst sonst eher zögerliche Sparer aus der Deckung, die zwar Aktien meiden, aber mit Blick auf Bitcoin & Co. von großen und vor allem schnellen Gewinnen träumen. Manch einem fällt da eine alte Börsenweisheit des legendären André Kostolany ein: „Die Börse wäre keine Börse, wenn nicht viele Narren ihr Unheil dort treiben würden.“

Und diese Narren lassen die Kurse munter in die eine oder andere Richtung ausschlagen, nicht nur bei der Cyber-Währung Bitcoin. Und das führt in schöner Regelmäßigkeit zu Übertreibungen. „Und wenn man eine Euphorie erst einmal losgetreten hat und alle davon reden, geht die Narretei erst richtig los. Jeder will mit dabei sein und sich am vermeintlich freie Mittagstisch laben“, sagt Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank. „Angefangen von der Tulpenhausse im Mittelalter über den Eisenbahn-Hype, Neuen Markt, Immobilienhausse bis zu Kryptowährungen ist die Reihe der Übertreibungen lang. Und auch in Zukunft wird es neue Haussen geben, die dann auch in sich zusammenbrechen werden.“ Denn den sprichwörtlichen „free Lunch“ gibt es an der Börse nun mal nicht. Kostolanys Narren aber sehr wohl.

Wie kein Zweiter habe André Kostolany das Wesen der Börse als Spiegelbild menschlichen Seins demaskiert, sagt auch Christoph Bruns. „Im Gegensatz zur Medizin oder Weltraumforschung kann sich jedermann ohne große Hindernisse an der Börse engagieren“, sagt der Mitinhaber der Fondsgesellschaft Loys. „Da es an der Börse aber um Geld geht, zieht der Aktienmarkt viele Menschen in seinen Bann, die ihm besser hätten fern bleiben sollen.“ Denn obwohl keine formalen Voraussetzungen für die Teilnahme am Börsenhandel erforderlich seien, sei dieser Markt doch nicht ganz ohne Kenntnisse und Erfahrung zu meistern.

Das dürften auch die Anleger schmerzlich gelernt haben, die sich vom Hype um die Cannabis-Aktien haben anstecken lassen. Auf die Rally folgte erstmal die Korrektur, Anlegermagazine trommeln aber schon wieder mit reißerischen Schlagzeilen zum Einstieg. Eine Zockerei für Narren? „Cannabis ist im Augenblick ein weltweiter Hype, weil er die deutlich teureren Schmerzmittel günstiger ersetzen könnte“, sagt Halver. Cannabis wird immer flächendeckender für die medizinische Behandlung erlaubt. Das werde Aktien von Unternehmen, die Cannabis in Form von Medikamenten verkaufen, noch eine gewisse Zeit Auftrieb verleihen. Auch Übernahmephantasien würde diesen Hype weiter befeuern. Schließlich wollen die großen Pharmakonzerne keine Konkurrenz. Es ist zu erwarten, dass sie lieber den einen oder anderen neuen Wettbewerber aufkaufen.

Doch Halver mahnt zur Vorsicht: „Cannabis, auch in guter Qualität, wird in der Agrarwirtschaft den regulären Anbau von Weizen, Mais oder Raps verdrängen.“ Das heißt, Cannabis als Rohprodukt wird also immer billiger. „Und in der Pharmaindustrie dürfte früher oder später Cannabis durch die intensive Verbreitung mehr und mehr auf den Status von Aspirin fallen“, so der Experte Damit allein gewinne Bayer heutzutage aber keinen großen Blumentopf mehr. Auch der Hype um die Cannabis-Aktien könnte also bald enden. Der Zeitpunkt des Einstiegs und vor allem des Ausstiegs sei wichtig, so Halver.

Den richtigen Zeitpunkt zum Ausstieg haben viele Anleger, die sich um die Jahrtausendwende vom Internet-Hype haben anstecken lassen, definitiv verpasst. Auf eine jahrelange Rally mit immer neuen Rekorden an der US-Technologiebörse Nasdaq und Phantasiebewertungen an ihrem deutschen Pendant, dem Neuen Markt, folgte ein heftiger Crash. Kostolany hat seinerzeit vor dem Neuen Markt gewarnt, hören wollte das niemand. Gerade hat die neue chinesische Technologiebörse „Star Market“ einen fulminanten Start hingelegt. Das Ausmaß der Kurssprünge ließ selbst gestandene Börsenexperten staunen: Alle 25 Aktien legten sofort um mehr als 100 Prozent zu.

Ein bisschen erinnert das an den Neuen Markt. Wiederholt sich die Geschichte? Sind da Narren am Werk? „Der Neue Markt wie überhaupt die Dotcom-Euphorie war ihrer Zeit voraus“, sagt Halver. „High-Tech war damals nicht so entwickelt wie heute.“ Heutzutage würden sich für eine Technologiebörse auch in China mehr Argumente aufzählen lassen. „Wir sind jetzt mitten in der industriellen Revolution 4.0. Und die Börsen waren seit jeher finanzwirtschaftliche Spiegelbilder dieser realwirtschaftlichen Prozesse“, ergänzt er. Und genauso wie in der Zeit der Stahlbarone, der Eisenbahngesellschaften und der Banken tummeln sich auch jetzt wieder kleine Unternehmen und Start-ups der Technologieszene an der Börse. „Da wird es auch Kursüberflieger und Kursverzehnfacher geben, die als Rohrkrepierer enden“, so Halver. Aber es würden auch Star-Unternehmen wie Alibaba, Baidu oder Tencent geboren. Der Star Market in China sei im Grunde so etwas wie eine „Plattform für Versuchskarnickel“. Und das bedeutet eben auch, dass dort ganz klar Narren am Werk sind. „Aber die müssen auch am Werk sein. Das gehört dazu“, sagt der Experte. „Denn wie bei jedem früheren wirtschaftlichen Strukturbruch muss sich die Spreu vom Weizen trennen.“ Gerade neue Handelssegmente würden Anleger scheinbar anziehen wie das Licht die Fliegen, ergänzt Fondsmanager Bruns. Narren inklusive.

Auch der Hype um Bitcoin & Co. erinnert an die Zeiten des Neuen Marktes: eine ziemlich wilde Spekulation mit eine Cyber-Währung, die sich in der Praxis erstmal bewähren muss. „Ich bin ein großer Freund der dahinter stehenden Blockchain-Technologie“, sagt Halver. „Aber als Währung werden sich Kryptowährungen nicht durchsetzen.“ Denn das wäre ein Generalangriff auf die klassischen Geldwährungen in Form einer Ersatzwährung. „Würde diese Geld verdrängen, wären die gigantischen Schulden der Welt mit Geld nicht mehr zu bezahlen und es gäbe Finanzkrisen“ sagt der Baader-Bank-Experte. „Nur beliebig vermehrbares Geld kann die von Politikern nach Belieben angehäuften Kreditberge finanzieren.“ Soviel Strom, der zur Schürfung von viel mehr Kryptowährungen zur Gegenfinanzierung von Schulden benötigt würde, sei gar nicht verfügbar. Auch Kostolany wäre von Bitcoin & Co. sicher wenig begeistert.

Ob chinesische Wachstumswerte oder Kryptowährungen – „leider enden diese Börsenabenteuer in der Regel mit schmerzlichen Erfahrungen“, so Bruns. Da aber ständig neue Generationen heranwachsen würden und somit der Nachschub an überkonfidenten Börsennovizen nicht versiege, werde es dabei bleiben, daß sich an der Börse stets viele Narren tummeln, ist der Fondsmanager überzeugt. Doch wie erkennt man als Anleger, ob eine Kursbewegung oder ein Trend nur von wankelmütigen Narren getrieben wird? „Langfristig ist es wichtig, zu erkennen, ob eine Anlageidee nachhaltig Bedeutung hat“, sagt Halver. Da hilft nur Recherche und Analyse. Wer aber von seiner Anlageidee überzeugt ist, sollte zwischenzeitliche Kursschwankungen – und das Treiben der Narren – aushalten können. „Wenn man kurzfristig spekulativ investiert ist, gilt ein Spruch, den man auch aus dem Privatleben kennt: Man sollte die Party verlassen, wenn sie am schönsten ist. Ansonsten hat man am nächsten Morgen einen dicken Kopf“, rät Halver. „Oder mit einer Börsenweisheit ausgedrückt: An Gewinnmitnahmen zur geeigneten Zeit ist noch niemand gestorben.“ Auch die Narren nicht, übrigens.

Autorin: Jessica Schwarzer

Titelfoto: Everett Collection / Shutterstock.com

Neueste exklusive Artikel