Unter der Oberfläche brodelt es

Bernd Schmid · Uhr

Die Aktienmärkte sprudeln weiter voller Optimismus. Das sehe ich schon beim Blick auf meine Beobachtungsliste. Die ist ganz rot, da die von mir eingeschätzten Fairen Bewertungen der Aktien gut 30 bis 50 % unter den jeweiligen aktuellen Aktienkursen liegen.

In der Regel erwarte ich von Aktien nach wie vor eine Rendite von mindestens 5 bis 10 % unter nicht zu aggressiven Annahmen, damit ich mich dabei wohlfühle, sie unseren Mitgliedern zum Kauf zu empfehlen. Bei überdurchschnittlich starken Unternehmen weniger, bei Unternehmen mit höheren Risiken mehr.

Entweder sind diese Bewertungsmaßstäbe im aktuellen Marktumfeld einfach nicht mehr angemessen und man muss (deutlich) niedrigere Renditen erwarten. Oder ich unterschätze die Zukunftsaussichten der Unternehmen.

Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem. Allerdings komme ich auch bei näherer Betrachtung regelmäßig zu dem Schluss, dass die Börsen im Moment zu optimistisch sind und die Risiken nicht adäquat einpreisen.

Nur zwei Beispiele von größeren Risiken, die ich im Moment sehe ‒ und die eigentlich alle Marktteilnehmer sehen müssten, da man für diese Erkenntnisse nicht wirklich tief graben muss:

1. Störungen der Lieferketten und explodierende Lieferkosten

Die Lieferprobleme bei Halbleitern sind den meisten von uns bereits seit Längerem bekannt. Diese spitzen sich nun so zu, dass Ford zum Beispiel laut einem Bericht von Deutschlandfunk die Automobilproduktion in Köln teilweise für Monate einstellen muss. Auch Audi, Daimler und andere Hersteller hätten wegen Halbleiterengpässen die Produktion eingeschränkt.

Diese Herausforderungen beschränken sich allerdings nicht nur auf die Automobilindustrie und Halbleiter. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat in ihrer Ausgabe vom vergangenen Mittwoch in einem Artikel mit dem Titel „Beispiellose Turbulenzen auf den globalen Kunststoffmärkten“ von Lieferengpässen und -ausfällen bei Kunststofferzeugern berichtet. Darunter leiden jetzt die Abnehmer dieser Produkte aus verschiedenen Branchen, deren Vorräte deswegen langsam dahinschmelzen.

Laut einer Umfrage des Ifo-Instituts ist die Knappheit bei Vorprodukten zu einem ernsthaften Problem für die deutsche Industrie geworden ‒ 45 % aller befragten Industrieunternehmen haben von Engpässen in den Lieferketten berichtet. Das ist laut Ifo-Institut der höchste Wert seit 30 Jahren.

Und das sind nicht die einzigen Zahlen, die belegen, in welchem Zustand die weltweiten Lieferketten sind. Ein Blick auf die Kosten von Frachtcontainern zeigt, dass deren Kosten in den letzten Monaten förmlich explodiert sind. Der Global-Container-Freight-Index, der die Marktpreise für die Standard-40-Fuß-Container zeigt, hat sich innerhalb eines Jahres gut verdreifacht.

Uns Europäer trifft das Ganze sogar besonders hart. Die Containerpreise für die Route China‒Nordeuropa, die in normalen Zeiten nicht so stark vom Gesamtindex abweichen, sind sogar noch einmal gut 60 % höher.

2. Steigender Inflationsdruck auch durch explodierende Rohstoffpreise

Containerpreise sind allerdings nicht die einzigen, die aktuell in die Höhe schießen. Das Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot zeigt sich in verschiedenen Märkten. Zum Beispiel bei den Agrarrohstoffen. Anstiege von 40 bis 60 % in wenigen Monaten für Dinge, die wir tagtäglich konsumieren wie Zucker, Sojabohnen oder Kaffee, sind keine Ausnahmen mehr.

Hier beispielhaft die Preisentwicklung von Weizen in den letzten fünf Jahren:

Der Preis für Kupfer hat sich innerhalb der letzten zwölf Monate gar mehr als verdreifacht:

Kupfer:

Am meisten leiden diejenigen unter uns, die gerade Bauholz benötigen, sei es weil sie ihr Hausdach reparieren oder einen Balkon bauen wollen. Wenn man überhaupt noch etwas bekommt, dann oft nur zu Preisen, die man noch nie gesehen hat. Hier die Entwicklung des Preises für Bauholz in den letzten rund 50 Jahren:

Das Amt für Arbeitsmarktstatistik in den USA (Bureau of Labour Statistics) veröffentlichte einen Erzeugerpreisindex für Dinge, die man für die Produktion von Endprodukten benötigt, wie Chemikalien, Stahl, Plastik, Kugellager usw. ‒ den „Erzeugerpreisindex für verarbeitete Güter für den Zwischenbedarf“ ‒, dieser sah im März die größte prozentuale Veränderung zum Vormonat seit fast 50 Jahren.

Vorübergehend oder der Anfang einer längeren Stagflationsphase?

Diese hohen Preise für Vorprodukte könnten am Ende an uns Verbraucher weitergegeben werden, so dass wir durchaus am Anfang eines größeren Inflationssprunges stehen. Das würde dann zwar die Wirtschaftsaktivität in nominalen Zahlen ansteigen lassen. Ob das alles in einem realen Anstieg der Wirtschaftsaktivitäten münden wird, das dürfte allerdings angesichts der globalen Umstände aufgrund der Coronamaßnahmen alles andere als in Stein gemeißelt sein.

Das Positive

Von der positiven Seite her betrachtet gibt es gute Argumente dafür, dass die Lieferkettenproblematiken nicht dauerhaft sein werden. Immerhin befinden sich immer weniger Volkswirtschaften in einem Lockdown und in immer mehr Ländern dürfen Arbeiter ihre Arbeit wieder relativ normal verrichten.

Nach einer gewissen Zeit dürften deswegen die Vorräte der aktuell knappen Gütern wieder aufgebaut und damit die Lieferketten wieder frisch geölt sein. Daher würde ich all das Obige alleine noch nicht als Grund sehen, für eine zu lange Zeit schwarzzumalen.

Trotzdem sollte man es meiner Meinung nach auf dem Zettel haben, dass eine so feine Maschine wie die Weltwirtschaft möglicherweise nicht so problemlos wieder so stark hinaufgefahren werden kann, wie sie vorher heruntergefahren wurde.

Der Schluss für mich ist daher, dass ich bei der Bewertung von Aktien weiterhin lieber konservativ fahre und das Goldlöckchenszenario noch nicht als das wahrscheinlichste einpreise.

Foto: Artem Oleshko / Shutterstock.com

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