Nord Stream 2: Nach Jahren der außenpolitischen Belastungen und der jüngsten Eskalation – war es das jetzt für das Projekt?

onvista · Uhr

Jahrelang hat die Gaspipeline Nord Stream 2 zwischen Deutschland und Russland die deutsche Außenpolitik belastet. Mit der Aussetzung des Genehmigungsverfahrens nach der russischen Eskalation in der Ukraine-Krise hat die Bundesregierung nun einen harten Kurswechsel vollzogen. Das Schicksal der 1230 Kilometer langen Doppelröhre unter der Ostsee ist damit aber noch nicht endgültig besiegelt.

Was geschieht jetzt mit der Erdgasleitung?

Die Leitung vom westrussischen Wyborg nach Lubmin bei Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) ist fertig, wird aber nicht zum Gas-Transport genutzt. Seit Ende Dezember sind beide Stränge mit Erdgas befüllt. Der Druck im Inneren liegt nach Angaben der Betreibergesellschaft bei 103 Bar, womit die Voraussetzungen für einen unverzüglichen Gastransport gegeben seien. „Zu laufenden Betriebskosten sowie ausbleibenden Transporteinnahmen können wir uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht äußern“, erklärte die Pressestelle der Nord Stream 2 AG.

Welche Chancen hat das Projekt überhaupt noch?

Das Genehmigungsverfahren wird nun neu aufgerollt. Die Bundesregierung will eine neue Stellungnahme abgeben, in der die veränderte Sicherheitslage berücksichtigt wird. Damit wird sie sich Zeit lassen. Der Frage, was Russland tun müsste, damit es doch noch zu einer Genehmigung kommt, weicht Bundeskanzler Olaf Scholz aus. „Jetzt jedenfalls ist das eine Situation, in der niemand darauf wetten sollte“, sagt der SPD-Politiker zu den Chancen der Pipeline lediglich. Fest steht: Für eine weitere Kehrtwende zurück zu einer Betriebserlaubnis bräuchte die Bundesregierung extrem gute Gründe. Und die kann nur der russische Präsident Wladimir Putin mit einem weitgehenden Einlenken in der Ukraine-Krise liefern.

Quelle: Yurikswo / Shutterstock.com
Quelle: Yurikswo / Shutterstock.com

Ist sich die Ampel-Koalition einig?

Jetzt ja. Lange Zeit waren SPD und Grüne sehr unterschiedlicher Meinung. Die Grünen haben mit der Forderung nach einem Ende von Nord Stream 2 Wahlkampf gemacht. Scholz hat sich dagegen noch Mitte Dezember schützend vor die Pipeline gestellt und sie als privatwirtschaftliches Projekt kategorisiert. Dass der Kanzler am Dienstag erklärte, er habe das Wirtschaftsministerium angewiesen, den Genehmigungsprozess zu stoppen, scheint Wirtschaftsminister Habeck nun mächtig zu nerven. In Interviews weist er nun immer wieder darauf hin, dass es seine Entscheidung gewesen sei.

Wie reagiert Russland?

Offiziell spricht der Kreml von „Bedauern“ über die deutsche Entscheidung zu Nord Stream 2. Es handele sich um ein rein wirtschaftliches Projekt zum Vorteil für Deutschland, Europa und könne zu Stabilität führen auf dem wegen hoher Preise überhitzten Gasmarkt, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. „Dass solche Projekte auch durch die Kraft politischer Gründe ausgebremst werden, was hoffentlich nur zeitweilig ist, ist aus unserer Sicht falsch.“

Hat Moskau etwas gegen den Stopp in der Hand?

Der ehemalige Kreml- und Regierungschef Dmitri Medwedew droht mit einer Preisexplosion. „Willkommen in der neuen Welt, in der die Europäer bald 2000 Euro pro 1000 Kubikmeter Gas zahlen“, schrieb Medwedew, der jetzt Vizechef im Sicherheitsrat ist, bei Twitter. Vereinzelt werden auch schon öffentlich Stimmen laut, die Energieverträge zu kündigen. Die russische Senatorin Swetlana Gorjatschewa forderte bei einer Rede im Föderationsrat, „feindliche Staaten“ nicht mehr mit Öl und Gas „aufzuwärmen“. Es gebe zwar Verluste für den Staatshaushalt, es würden sich aber andere Kunden finden, meinte sie. Der Kreml hatte stets betont, dass Russland auch in den schlimmsten Krisen seinen Lieferverpflichtungen nachgekommen sei.

Ist Medwedews Drohung realistisch?

Die aktuellen Preise sind jedenfalls noch weit davon entfernt. Wenn man Medwedews Ansage auf die in der EU übliche Handelseinheit Megawattstunde umrechnen würde, entspräche das 190 Euro pro MWh, erklärt die Analystin Barbara Lambrecht von der Commerzbank. Ein Vergleich mit aktuellen Preisen ist schwierig, weil Gas in unterschiedlichen Formaten gehandelt wird, die sich nach ihren Lieferfristen unterscheiden und da nicht klar ist, worauf sich Medwedew bezieht. Für Erdgas etwa, das in einem Monat geliefert werden soll, zahlt man laut Commerzbank derzeit 83 Euro pro MWh.

Was heißt die Entscheidung für die deutsche Gasversorgung?

Die Gasversorgung ist laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sicher. Deutschland komme komplett ohne russisches Gas aus, sagte der Grünen-Politiker im Deutschlandfunk. Allerdings sei mit höheren Preisen zu rechnen.

Der Branchenverband der Speicherunternehmen, die Initiative Energien Speichern (INES), geht davon aus, dass die deutsche Gasversorgung in den kommenden Tagen und Wochen einen Ausfall aller russischen Gasimporte überstehen könne – falls die Temperaturen mild blieben und ausreichend Flüssig-Erdgas (LNG) für den EU-Binnenmarkt verfügbar sei. Falls nötig könnten sich die EU-Staaten auch gegenseitig unterstützen, erklärte der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft.

Stehen Arbeitsplätze auf dem Spiel?

Der Wirtschaftsrechtler Andreas Steininger vom Vorstand des Ostinstituts in Wismar sieht durch den möglichen Stopp von Nord Stream 2 nur wenige Arbeitsplätze in Mecklenburg-Vorpommern gefährdet. Der Großteil der Arbeitsplätze sei durch den Bau der Pipeline geschaffen worden, für den regulären Betrieb sowie bei Zulieferern würden nur eine geringe Zahl von Mitarbeitern benötigt.

Was bedeutet die Entscheidung für die beteiligten Unternehmen?

Die Nord Stream 2 AG will die Berichte Entscheidung der Regierung nicht kommentieren. Man warte auf Informationen der Behörden, hieß es. Als Investoren beteiligt sind dort auch zwei deutsche Konzerne, Wintershall Dea und Uniper . Wintershall hielt sich am Mittwoch bedeckt. Uniper-Vorstandschef Klaus-Dieter Maubach erklärte bei der Veröffentlichung von Geschäftszahlen, sein Konzern plane keine juristischen Schritte gegen den von der Bundesregierung vorerst ausgesetzten Genehmigungsprozess. „Wir beschäftigen uns derzeit nicht mit irgendwelchen Fragen, ob das juristische Konsequenzen auslösen könnte“, sagte Maubach. Wenn jemand klage, dann solle das die Betreibergesellschaft sein.

Die Auswirkungen der Regierungsentscheidung für Uniper würden geprüft, „einschließlich möglicher Wertminderungen“, sagte Maubach, ohne Einzelheiten zu nennen.

onvista/dpa-AFX

Titelfoto: Lisic / shutterstock.com

(Anzeige)

Das könnte dich auch interessieren

Neueste exklusive Artikel