Sicherung von Sprit und Heizöl: Staat greift nach Rosneft

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Energiekrise

Schwedt/Berlin (dpa) - Es ist eine weitreichende Entscheidung - für die PCK-Raffinerie im brandenburgischen Schwedt, aber auch für Millionen Verbraucher an der Zapfsäule, beim Fliegen oder beim Heizen: Die Bundesregierung hat die deutschen Töchter des russischen Staatskonzerns Rosneft unter staatliche Kontrolle gestellt. Damit hat die Bundesnetzagentur nun auch das Sagen bei PCK.

Bisher werden dort aus zwölf Millionen Tonnen Rohöl jährlich Benzin, Diesel, Heizöl, Kerosin und andere Produkte produziert. PCK versorgt Berlin und den Nordosten. Indirekt berührt das auch den übrigen deutschen Markt: Läuft die Produktion in Schwedt nicht rund, kann das Auswirkungen auf Versorgung und Preise haben.

Nun gaben Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck Entwarnung: Mit der Entscheidung der Bundesregierung sei der Standort gesichert. Die 1200 Arbeitsplätze würden erhalten, und die Versorgungssicherheit sei gewährleistet. Scholz sprach von einer «guten Botschaft» und von einer «Entscheidung zum Schutz unseres Landes». Ist nun alles geklärt?

1. Die Ausgangslage: Russischer Betreiber verarbeitet russisches Öl

PCK - zu DDR-Zeiten VEB Petrolchemisches Kombinat Schwedt, daher die Abkürzung - wird seit Jahrzehnten über die Druschba-Pipeline mit russischem Öl beliefert. Es gehörte bisher zu gut 54 Prozent den Rosneft-Töchtern. Dieser wollte ursprünglich vom Mitbesitzer Shell auch dessen Anteile von 37,5 Prozent kaufen, was aber gestoppt wurde. Als Russland Ende Februar in der Ukraine einmarschierte und die EU ein Ölembargo gegen Moskau beschloss, stand die Bundesregierung vor zwei Problemen: PCK war abhängig von russischem Öl. Und das Sagen hatte ein russischer Betreiber. Dieser hatte nach Habecks Worten kein Interesse an einer Abkehr von russischem Öl.

2. Habecks Lösungsskizze

Habeck fuhr Anfang Mai nach Schwedt und skizzierte eine Lösung: Lieferungen nicht-russischen Öls über andere Routen, Finanzhilfen des Bundes und eine mögliche Treuhandstruktur. Habecks Staatssekretär Michael Kellner formulierte später eine Standortgarantie: PCK werde auch 2023 ohne Öl aus der Druschba-Pipeline weiterarbeiten. Offen blieb jedoch, ob sie voll ausgelastet sein würde.

Denn zunächst kann dem Wirtschaftsministerium zufolge nur 50 bis 60 Prozent des Ölbedarfs über den Hafen Rostock gedeckt werden. Lägen Teile der Raffinerie brach, wären nicht nur Jobs in Gefahr. Es würde wohl kurzfristig regional Treibstoff fehlen. Monatelang wurde daran gearbeitet, die Lücke zu stopfen. Habeck peilte dafür Tankeröl aus dem polnischen Hafen Danzig an. Das Problem: Polen hat zu Kriegszeiten kein Interesse an der Belieferung des russischen Staatskonzerns Rosneft.

3. Der Staat steigt ein

Habeck sprach schon früh von einer Treuhandlösung. Genau das passiert jetzt mit der Treuhandverwaltung für sechs Monate. Die gesetzlichen Grundlagen wurden Mitte Mai im Energiesicherungsgesetz gelegt. Zur Sicherung der Versorgung sieht dieses «die Möglichkeit einer Treuhandverwaltung über Unternehmen der kritischen Infrastruktur und als Ultima Ratio auch die Möglichkeit einer Enteignung» vor.

Der Eingriff des Staates bei PCK war für die Bundesregierung trotzdem heikel. Lange befürchtete man, Russland werde als Vergeltung die Gaslieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 kappen. Das tat Moskau dann ohnehin. Dann sorgte man sich, dass Russland auch die Öllieferungen sofort einstellen würde, ohne auf das Embargo zu warten. Diese Gefahr besteht weiter, wie Scholz am Freitag einräumte. «Wir wissen nicht, was jetzt passiert.»

4. Was bedeutet die Ankündigung der Bundesregierung?

Sollte Russland von heute auf morgen kein Öl mehr nach Schwedt liefern, könnte kurzfristig die Auslastung zurückgehen, bis Ersatz kommt. Scholz und Habeck gaben sich aber alle Mühe zu beschwichtigen. Man habe sich schon lange darauf vorbereitet, dass Russland aus Gründen, die mit dem Ukraine-Krieg zusammenhingen, nicht mehr liefere, sagte der Kanzler. «Wir haben ja genau diesen Fall vorbereitet.»

Dafür werde die Kapazität der vorhandenen Pipeline von Rostock nach Schwedt erweitert. Zügig soll sie auf eine jährliche Kapazität von bis zu neun Millionen Tonnen pro Jahr ausgebaut werden. Das würde 75 Prozent Auslastung der Raffinerie sichern. Allerdings wird es eine Weile dauern, bis die dafür veranschlagten 400 Millionen Euro vom Bund verbaut sind.

Zweiter Lösungsansatz sind die Gespräche mit Polen über Lieferungen via Danzig. Diese seien weit fortgeschritten, sagte Habeck. Feste Zusagen aus Warschau gibt es wohl noch nicht, ließ der Minister durchblicken. Das sei aber auch nicht zu erwarten gewesen, solange Rosneft bei PCK noch das Sagen gehabt habe. Auch mit Kasachstan will die Bundesregierung reden, um von dort über Druschba weiteres Öl zu sichern.

5. Regierung macht Beschäftigten Mut

Die Antwort des Kanzlers auf die Frage, wie stark PCK ab Januar ausgelastet sein werde, blieb recht vage: «Eigentlich glauben wir, dass wir, egal was passiert, eine gute Chance haben, dass es eine ausreichende Versorgung mit Öl gibt, so dass die Raffinerie arbeiten kann.» Sollte es doch zeitweise anders kommen, soll eine Beschäftigungsgarantie greifen.

«Keiner muss sich Sorgen machen, dass er seine Hauskredite, seine Rechnungen zu Hause oder anderes mehr nicht mehr bezahlen kann», beruhigte der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke. Den Beschäftigten in Schwedt dürfte der Einstieg des Staats und die Umstellung auf neue Bezugsquellen allerdings so oder so einiges abverlangen. Mittelfristig steht ein Umbruch an: Schwedt soll die Abkehr vom Öl schaffen und «grünen» Wasserstoff produzieren.

6. Verbraucher sollen weiter tanken und heizen können

Habeck betonte mehrfach, dass die Versorgung mit Raffinerieprodukten gewährleistet sei. Auch der Düsseldorfer Ökonom und Energieexperte Jens Südekum sieht dafür gute Chancen. Das von der Regierung präsentierte Konzept sei wenig überraschend - deshalb sei es vermutlich gut vorbereitet worden, sagte Südekum der Deutschen Presse-Agentur. Sollte es mit den Lieferungen über Polen klappen, dürfte PCK wohl weitgehend ausgelastet arbeiten. Für eine sichere und bezahlbare Versorgung hilft aus Südekums Sicht auch die Abkühlung der Konjunktur. Der Preis auch für westliche Ölsorten sei zuletzt deutlich gesunken.

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