Nach Sturz Assads - Verbündete und Gegner loten Optionen aus

Reuters · Uhr

- von Maya Gebeily und Timour Azhari

Damaskus/Dubai/Berlin (Reuters) - Nach dem Sturz von Baschar al-Assad loten Verbündete und Gegner des syrischen Ex-Machthabers ihre Optionen für ein Verhältnis zur neuen Führung des Landes aus.

Die iranische Regierung knüpft nach Angaben aus Kreisen erste Kontakte nach Damaskus. Aus Moskau hieß es am Montag, die Zukunft der russischen Stützpunkte in Syrien sei noch ungewiss. In Berlin sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts, es gehe zunächst darum, "dass das Land jetzt nicht in die Hände von anderen Radikalen fallen darf, egal in welchem Gewandt". Mit Blick auf die Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) betonte er, man werde sie "an ihren Taten messen".

Kämpfer der HTS hatten am frühen Sonntagmorgen die Kontrolle über die syrische Hauptstadt Damaskus übernommen, ohne dass es erkennbaren Widerstand des Militärs gab. Der Iran und Russland als Assad-Unterstützer hatten von Syrien aus Einfluss in die gesamte arabische Welt. Sein Sturz schränkt nun die Möglichkeiten des Iran ein, Waffen an Verbündete wie die radikal-islamische Hisbollah im Libanon zu liefern. Zudem könnte Russland seinen Stützpunkt im Hafen von Tartus am Mittelmeer verlieren. Assad selbst befindet sich inzwischen in Moskau. Russland habe ihm und seiner Familie aus humanitären Gründen Asyl gewährt, berichteten russische Agenturen unter Berufung auf einen Vertreter des russischen Präsidialamts.

Gestärkt werden könnte die Türkei, die Widersacher Assads unterstützt hat. Die Türkei will unter anderem, dass sich Kurden, die sich in Syrien gesammelt haben und von der Türkei als "Terroristen" bezeichnet werden, dort nicht etablieren. Zudem steht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan unter Druck, die Millionen syrischen Flüchtlinge in seinem Land angesichts schwieriger wirtschaftlicher Verhältnisse in der Türkei wieder zurück nach Syrien zu schicken. Nach Angaben aus türkischen Sicherheitskreisen übernahmen von der Türkei unterstützte Oppositionsgruppen die Kontrolle über die nordsyrische Stadt Manbidsch.

"DIE HAND DES FRIEDENS REICHEN"

Der Iran hat nach dem Sturz Assads eine direkte Kommunikationslinie zu einem Teil der Rebellen-Gruppen eingerichtet. Dies diene dazu, "eine feindliche Entwicklung" zwischen den beiden Ländern zu verhindern, sagte ein ranghoher Regierungsvertreter der Nachrichtenagentur Reuters. Ein Dialog mit den Rebellenanführern in Syrien sei der Schlüssel zur Stabilisierung der Beziehungen und zur Vermeidung weiterer regionaler Spannungen. Ein gegenüber dem Iran feindseliges Syrien würde der Hisbollah im Libanon die einzige Landversorgungsroute und Iran den Hauptzugang zum Mittelmeer und die "Frontlinie" zu Israel abschneiden.

Aus Sicht des Kreml ist es noch zu früh zu sagen, was mit den russischen Militärstützpunkten in Syrien geschieht. Das werde ein Diskussionsthema mit denjenigen sein, die künftig in Syrien an der Macht seien, sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow. Russland unterhält zwei strategisch wichtige Stützpunkte in Syrien. Der Chef des auswärtigen Geheimdienstes, Sergej Naryschkin, teilte laut Nachrichtenagentur Interfax mit, dass Gespräche über die Sicherheit russischer Bürger in Syrien geführt würden.

US-Präsident Joe Biden erklärte am Sonntagabend, im Moment gebe es in Syrien Risiken und Unsicherheit. Die USA würden in den kommenden Tagen mit den Anführern in der Region sprechen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bezeichnete Assads Sturz als "historischen Tag". Das schaffe neue und sehr wichtige Möglichkeiten für Israel. Es gebe aber auch Risiken. Israel arbeite an einer guten Nachbarschaft und werde Drusen, Kurden, Christen und Muslimen "die Hand des Friedens reichen".

"NACH EINER EWIGKEIT DES GREUELS"

Der Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin sagte am Montag: "Letztlich muss man die HTS an ihren Taten messen." Die Gruppe werde eine wichtige Rolle bei der Neuordnung des Bürgerkriegslandes spielen. Die Vereinten Nationen und auch die EU listeten die HTS als Terrororganisation, in Deutschland taucht sie im Verfassungsschutzbericht als solche nicht auf. Die Gruppe bemühe sich aber, sich von ihren extremistischen Wurzeln zu distanzieren, sagte der Sprecher und betonte, "dass das Ende des Assad-Regimes für Millionen von Menschen in Syrien ein erstes großes Aufatmen nach einer Ewigkeit des Greuels war".

Mit Blick auf Deutschlands ergänzte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums, dass die HTS einzig auf Syrien abziele und dort den Sturz des Regimes herbeiführen habe wollen. Anschläge in anderen Ländern lehne die Organisation ab. "Die militärischen Erfolge der HTS, zusammen mit weiteren, auch nicht-religiös geprägten Gruppierungen, folgt erkennbar einer nationalen, gegen die syrische Regierung gerichteten Agenda", sagte sie. "Eine Erhöhung der Gefährdungslage durch dschihadistische Akteure der HTS in Deutschland ist daher zumindest vorerst nicht zu erwarten."

Laut Bundesinnenministerium halten sich Stand 31. Oktober insgesamt 974.136 Menschen mit syrischer Herkunft in Deutschland auf. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) legt die Prüfung weiterer Asylverfahren für Menschen aus Syrien zunächst auf Eis, kündigte die Sprecherin zudem an. Angesichts der unklaren Lage in Syrien könne jetzt von Rückführungen aber nicht die Rede sein. Grundlage dafür sind die jeweiligen Lageberichte des Auswärtigen Amts. Ein neuer Bericht sei in Arbeit, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amts. "Die Lage hat sich noch nicht konsolidiert", sagte er und fügte hinzu: "Sobald sich der Staub legt", werde es einen neuen Bericht geben.

(Weitere Reporter: Christian Krämer und Alexander Ratz in Berlin, Suleiman al-Khalidi in Amman; Maayan Lubell in Jerusalem; Tom Perry and Laila Bassam in Beirut; Jaidaa Taha and Adam Makary in Kairo; Parisa Hafezi, Clauda Tanios, Nadine Awadallah and Tala Ramadan in Dubai; Bearbeitet von Alexander Ratz; Redigiert von; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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