"Wie eine Geisterstadt": Razzien gegen Einwanderer lähmen Großmarkt in Los Angeles
- von Tim Reid und Kristina Cooke
Los Angeles (Reuters) - Stille herrscht auf einem Großmarkt in Los Angeles. Wo sich sonst Hunderte Menschen zwischen den Ständen tummeln, wartet Juan Ibarra zwischen Bergen unverkaufter Früchte.
Trauben, Ananas und Pfirsiche stapeln sich an seinem Stand. Doch die Kundschaft bleibt fern. Seit die Einwanderungsbehörde ICE vor mehr als einer Woche mit Razzien begonnen hat, darunter auch in einer Textilfabrik nur zwei Blocks entfernt, ist das Geschäft nach Ibarras Angaben praktisch zum Erliegen gekommen. Der in den USA geborene Sohn mexikanischer Einwanderer blickt besorgt auf die verlassenen Straßen. "Es ist wie eine Geisterstadt", sagt der 32-Jährige und deutet auf die leeren Verkaufsflächen. "Fast wie während Covid."
Die Kunden seines Marktstands - Betreiber von Imbissständen, Restaurants oder Straßenverkäufer - bleiben weg. Auch Beschäftigte umliegender Geschäfte wagen sich nicht mehr hinaus zum Einkaufen. Von den 300 Personen, die ohne gültige Aufenthaltspapiere auf dem Markt arbeiten, fehlt jede Spur. Für Ibarra bedeutet das den wirtschaftlichen Ruin. Statt der üblichen 2000 Dollar Tageseinnahme nimmt er jetzt höchstens 300 Dollar ein – bei 8500 Dollar monatlicher Miete. Zum ersten Mal musste er verdorbene Ware entsorgen. Jede Palette kostet ihn zusätzlich 70 Dollar Entsorgungsgebühr. "Wir können nur begrenzt so weitermachen, vielleicht ein paar Monate", sagt er.
Ähnlich geht es auch Pedro Jimenez. Der 62-Jährige betreibt seit 24 Jahren ein mexikanisches Restaurant in einem überwiegend hispanischen Arbeiterviertel von Los Angeles. Viele seiner Bekannten bleiben aus Angst vor der Einwanderungsbehörde zu Hause und meiden sein Restaurant. Jimenez kam einst selbst ohne Papiere in die USA. Er erhielt 1987 die Staatsbürgerschaft nach der Unterzeichnung eines Amnestiegesetzes durch den republikanischen Präsidenten Ronald Reagan. Seine wöchentlichen Einnahmen sind um 7.000 Dollar eingebrochen. Am vergangenen Freitag und Samstag schloss er aufgrund zu weniger Kundschaft bereits um 17.00 Uhr statt um 21.00 Uhr. "Das schadet wirklich allen Geschäften", sagt er. "Es ist schrecklich. Es ist schlimmer als Corona."
REGIERUNG RUDERT ZURÜCK - SCHADEN BEREITS ANGERICHTET
Wegen der wirtschaftlichen Folgen der Abschiebepolitik hat die US-Regierung von Präsident Donald Trump zuletzt eingelenkt. Vor wenigen Tagen erhielt die ICE die Anweisung, keine Razzien mehr in landwirtschaftlichen Betrieben, Restaurants und Hotels durchzuführen. Dennoch hält die Unruhe in der Stadt an. Nach Protesten gegen die bisherigen ICE-Einsätze entsandte Trump die Nationalgarde und die US-Marines nach Los Angeles. Der Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, hatte sich vergeblich gegen diese Militärpräsenz in seiner Stadt gewehrt.
Nach der Ansicht der US-Regierung sind es vor allem die Proteste gegen die Abschiebungen, die den lokalen Unternehmen zu schaffen machen. Gewalttätige Demonstranten schufen ein unsicheres Umfeld, erklärt Abigail Jackson, Sprecherin des Weißen Hauses. "Es sind die Unruhen der Demokraten und nicht die Durchsetzung des föderalen Einwanderungsrechts, die kleinen Unternehmen schaden."
Die Trump-Regierung habe ihre Einwanderungsmaßnahmen zunächst auf Menschen mit Vorstrafen konzentriert, erläutert Andrew Selee, Präsident des überparteilichen Migration Policy Institute. In den vergangenen zwei Wochen verlagerte sich der Fokus auf Arbeitsplatzrazzien. "Sie zielen auf hart arbeitende Einwanderer ab, die am besten in die amerikanische Gesellschaft integriert sind", sagt Selee. "Je undifferenzierter die Einwanderungskontrollen ausfallen, desto stärker beeinträchtigen sie die amerikanische Wirtschaft."
Ibarra und Jimenez sind nicht die Einzigen, die als Unternehmer unter Trumps hartem Vorgehen gegen Menschen ohne Aufenthaltsstatus leiden. Das Problem betrifft ganz Los Angeles und Kalifornien und bedroht die lokale Wirtschaft erheblich. Nach Angaben des American Immigration Council sind ein Drittel der Arbeitskräfte in Kalifornien Einwanderer, und 40 Prozent der Händler meiden aus Angst vor ICE-Beamten die Nähe.
Die Angst vor Abschiebung prägt auch den Alltag von Luis. Der 45-Jährige ist Hot-Dog-Verkäufer aus Guatemala. Aus Furcht vor den Behörden möchte er nur seinen Vornamen nennen. Als er am Wochenende auf dem Flohmarkt in Santa Fe Springs arbeitete, warnten andere Händler vor ICE-Beamten in der Nähe. Er und weitere Verkäufer ohne legalen Aufenthaltsstatus verließen daraufhin fluchtartig den Ort. "Das alles ist psychisch erschöpfend", sagt er. "Ich muss arbeiten, um zu überleben, aber die restliche Zeit bleibe ich drinnen."
(Geschrieben von Moawis Ahmed, redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)