Das Übernahmefieber hat sich zu einer Epidemie ausgeweitet

Robert Halver · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Nach dem Platzen der Immobilienblase 2008 mit nachfolgendem Einbruch der Weltkonjunktur 2009 war der Übernahmetraum lange Zeit ausgeträumt. Zu viele Unternehmen hatten sich zuvor an viel zu teuren Unternehmensaufkäufen verhoben und litten angesichts mangelnder Schuldentragfähigkeit an massiven Rückenproblemen.

Die ultimative Unternehmensfrage: Wohin mit dem Geld?

Doch die Stimmung für Übernahmen hat sich deutlich gebessert. Zunächst sind die Unternehmenskassen wegen der wiederbelebten Weltkonjunktur prall gefüllt. Angesichts der Rendite-Askese einfach auf dem Geld hocken wie Onkel Dagobert Duck auf seinen Dukaten schafft nur totes Kapital wie ungenutzte Baugrundstücke. Übertriebene Kassenhaltung erhöht nicht nur den Unternehmenswert nicht, sie lässt ihn mangels Rendite fallen.

Wohin also mit dem überschüssigen Geld? Umfangreiche Aktienrückkaufprogramme wurden längst wieder gestartet. Und immer ist noch viel Geld in der Kasse. Zugleich werden laufend höhere Dividenden ausgeschüttet. Tatsächlich werden in diesem Jahr deutsche und europäische Aktienunternehmen wieder einen neuen Rekord an Ausschüttungen unter das Aktienvolk bringen. Und immer ist noch viel Geld im Portemonnaie. Allerdings wollen es die Firmenleitungen auch nicht übertreiben und Anleger zu sehr verwöhnen. Sie könnten sich zu sehr daran gewöhnen.

Überhaupt, ist die Dividende erst einmal ausbezahlt, ist sie für das Unternehmen ähnlich verloren wie der Wellensittich für den Vogelfreund, der vergessen hat, das Fenster zu schließen.

Übernahmen als Auffangbecken für den gewaltigen Investitionsdruck

Auf der Suche nach sinnvollen Verwendungsmöglichkeiten für Liquidität schreit es förmlich nach Firmenübernahmen. In einer globalisierten, hoch wettbewerbsfähigen Wirtschaftswelt bieten Übernahmen die ultimative Möglichkeit, technologisches Know How in Märkten und Bereichen zuzukaufen, also an die süßesten Früchte regionale und produktbezogene Umsatzverbreiterung zu gelangen, die bislang viel zu hoch im Baum hingen.

Und wie gut schmeckt es erst, den Wettbewerber zur Sicherung und Ausweitung der eigenen Marktposition mit Haut und Haaren aufzufressen?

Übernahmen werden zu einem Perpetuum Mobile

Hat ein Unternehmen erst einmal angefangen, aufzukaufen, kommt es in der Branche zu einem Dominoeffekt. Alle Konkurrenten müssen das Übernahmespiel mitspielen, um die eigene Marktposition und Preissetzungsmacht zu verteidigen. Nur so bleibt man Hecht im Karpfenteich.

So ist im Chemiebereich die Übernahme von Monsanto durch Bayer die logische Reaktion auf die Fusion von Dow Chemical und Dupont. Auch BASF weiß seitdem, was die Stunde geschlagen hat.

Ähnlich einzuschätzen ist die geplante Übernahme des Chipherstellers Qualcomm durch Branchenkonkurrenten Broadcom. Aus diesem Deal geht der weltweit drittgrößte Chiphersteller nach Intel und Samsung hervor. Diese Auffress-Dynamik sorgt für Unruhe im Karton. Zur Marktanteilsausweitung werden mittlerweile aber auch die Branchen Konsum, Medien, Logistik, Versorger und Infrastruktur von Übernahmen und Fusionen heimgesucht.

Im Gesundheitssektor zwingen im wahrsten Sinne kranke, Geld-mangelernährte Gesundheitssysteme, hohe Entwicklungskosten für die Neuentwicklung von Medikamenten und der Aufbau schlagkräftiger Vertriebssysteme zur Branchenkonzentration.

Digitalisierung als besonderes Treibmittel von Übernahmen

Durch die größte industrielle Revolution seit Erfindung der Dampfmaschine, die Digitalisierung, kommt es zu einer besonderen Übernahmephantasie. Die Know How-Träger aus den Technologiebranchen sind vor Übernahmen so wenig sicher wie die arme Seele vor dem Teufel. Eigenentwicklungen würden viel zu viel wertvolle Zeit verplempern, die man im Globalisierungskampf nicht hat. Nicht zu unterschätzen ist auch die geostrategische Dimension des Übernahmethemas. Länder wie China wollen - koste es, was es wolle - zu innovativen Industrieländern werden, um über Wirtschaftskraft noch mehr Weltmacht zu werden. Dazu jagen sie z.B. den mit vielen Patenten ausgestatteten deutschen Mittelstand wie Löwen die Antilopen.

Grundsätzlich zahlt das übernehmende Unternehmen immer einen satten Kursaufschlag auf den Aktienkurs des zu übernehmenden. Denn es ist wie auf dem Heiratsmarkt. Ist die Kandidatin/der Kandidat erst einmal weggeschnappt, ist sie oder er weg vom Fenster.

Die Aktienhausse nährt die Übernahmehausse, die wiederum die Aktienhausse nährt

Als Übernahmewährung von Unternehmen sind übrigens gestiegene Aktienkurse bestens geeignet. Je höher die Marktkapitalisierung, desto mehr Übernahmekaufkraft hat der räuberische Übernehmer bei Bezahlung mit eigenen Aktien.

Die Übernahmeaktivitäten werden noch lange ein wohlschmeckendes Salz in der Börsensuppe sein.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG

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