Mit Biden werden Streitthemen neu sortiert - Auch in der EU
- von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) - Bis auf einige europäische Rechtspopulisten haben die meisten EU-Regierungen den Sieg von Joe Biden bei der US-Präsidentschaftswahl begrüßt.
Denn Biden hatte bereits im Wahlkampf angekündigt, dass er für eine multilaterale Politik und eine wieder engere Partnerschaft mit Europa stehe. Zusammen mit seinen Aussagen zu Klima oder der Corona-Pandemie sehen viele deshalb die Chance auf bessere Beziehungen. Kanzlerin Angela Merkel fordert deshalb bereits einen europäisch-amerikanischen Schulterschluss. Doch an etlichen Stellen bleiben für die Europäer Probleme oder es entstehen sogar neue. Fünf Beispiele:
VERTEIDIGUNG - ASIEN-EINSATZ DER NATO-PARTNER?
Bereits in den ersten Kommentaren deutscher Politiker über Biden wird erkennbar, dass der Streit um das Zwei-Prozent-Ziel der Nato im Verteidigungshaushalt bleiben wird. Während Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nun verstärkte Anstrengungen Deutschlands mit Blick auf Bidens Wahl fordert, winkt etwa der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich schon ab. Aber die Frage der deutschen Ausgaben für Rüstung dürfte dabei nur ein möglicher Streitpunkt sein. Denn die Nato überarbeitet derzeit ihr Aktivitätsprofil: Es gibt Druck sowohl der USA, aber auch Frankreichs, dass die Europäer - und die Deutschen - mit Blick auf China verstärkt in Asien Präsenz zeigen. Einem US-Präsident Biden werden solche Wünsche schwerer abzuschlagen sein als einem Präsidenten Trump, glaubt man in der Regierung.
NEUE DEUTSCH-FRANZÖSISCHE DIFFERENZEN
Nach Trump werden nach Ansicht des Europa-Experten der Stiftung Wissenschaft und Politik, Nicolai von Ondarza, auch neue deutsch-französische Differenzen auftauchen. Denn die französische Regierung machte nach Bidens Wahlsieg sofort klar, dass die EU dennoch ihre "strategische Autonomie" auch gegenüber den USA stärken müsse. Unter einem als unzuverlässig eingeschätzten Trump bekam Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dafür viel Zustimmung. "Aber wenn die Ablehnung Trumps als einigender Faktor wegfällt, werden Staaten wie Deutschland, aber auch die Osteuropäer viel weniger auf eine strategische Autonomie Europas drängen", sagte der SWP-Experte zu Reuters.
Neu aufbrechende deutsch-französische Differenzen dürfte es nach Einschätzung in der Bundesregierung auch beim Thema Handel geben. Macron sieht EU-Freihandelsabkommen insgesamt kritischer als Kanzlerin Merkel, die unbedingt auch ein umfassendes EU-Abkommen mit den USA möchte. Unter Trump rückte diese Meinungsverschiedenheit völlig in den Hintergrund, weil mit diesem US-Präsidenten in Washington ohnehin an einen Vertrag nicht zu denken war. Aber mit Biden dürfte die Debatte wiederkommen. Schon bei den jüngsten EU-Sanktionen gegen den US-Flugzeughersteller Boeing zeigt sich dies: Außenminister Heiko Maas betont stellvertretend für die Regierung, dass man doch eigentlich einen Abbau der Strafzölle wolle.
KLIMAPOLITIK - USA KEIN STÖRENFRIED MEHR
Eindeutig positiv fallen die Erwartungen bei der Klimapolitik aus: Biden hat angekündigt, dass die USA dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder beitreten wollen. Allerdings: Ein neuer Präsident wird nicht dafür sorgen, dass die USA das Abkommen überhaupt ratifizieren. Auch Barack Obama hatte dies wegen des Widerstands im US-Kongress gar nicht erst versucht. Dennoch glaubt etwa von Ondarza an einen positiven Effekt unter Biden - vor allem im kommenden Jahr, wenn Italien und Großbritannien Gastgeber der Klimaschutzkonferenz sein werden und die EU eine große internationale Rolle spielt. "Die USA werden unter Biden nicht mehr gegen das Klimaschutzabkommen arbeiten und versuchen, andere Staaten wie Brasilien herauszubrechen."
BREXIT-VERHANDLUNGEN - JOHNSON ISOLIERT?
Wenn Biden sein Amt antritt, sollten die EU-Verhandlungen mit Großbritannien über die künftigen Beziehungen eigentlich bereits abgeschlossen sein. Auch wenn man in der Bundesregierung keine dramatischen Änderungen durch Bidens Wahlsieg bei diesem Thema erwartet: Der britische Premierminister Boris Johnson gerate durchaus unter Druck, meint SWP-Experte von Ondarza. Denn Biden war nicht nur gegen den Brexit, sondern hat London auch klare Ansagen für das erhoffte Freihandelsabkommen gemacht: Voraussetzung dafür sei, dass die britische Regierung die vereinbarten Regeln für die Grenzen zwischen Irland und Nordirland einhält.
"Es ist zu erwarten, dass Biden Johnson in seinem ersten Telefonat daran erinnern wird - was London gegenüber der EU kompromissbereiter machen sollte", sagt von Ondarza. Johnson wird im Biden-Lager ohnehin als "Trump-Mann" kritisch gesehen. "Das alles erhöht den Preis für einen No Deal für London - aber schließt ihn dennoch nicht aus", sagt der SWP-Experte.
DRUCK AUF NATIONALKONSERVATIVE IN OSTEUROPA
An einer Stelle könnten die Beziehungen in der EU wiederum harmonischer werden: Denn Bidens Sieg ist ein Schlag für die nationalkonservativen Regierungen in Osteuropa. Biden ist nicht nur bekennender EU-Fan. Er hat etwa mit Blick auf Polen deutlich gemacht, wie falsch er den Kurs gegen Minderheiten wie Lesben und Schwule durch nationalkonservative Kreise hält. Bisher sonnten sich Ministerpräsidenten wie Ungarns Viktor Orban in ihren guten Beziehungen zu Trump - und stichelten gegen die EU. "Jetzt dürften sie in ihrer teilweisen Anti-EU-Rhetorik zumindest vorsichtiger werden", sagt ein EU-Diplomat.