Börse Frankfurt-News: "Hohe Inflation - Spiel mit dem Feuer"

dpa-AFX · Uhr (aktualisiert: Uhr)

"Nichts hat das deutsche Volk - dies muss immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden - so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation." Diese Einschätzung Stefan Zweigs beeindruckt mich heute noch genauso wie vor 30 Jahren, als ich sie das erste Mal in "Die Welt von Gestern" gelesen habe. Immerhin schreibt hier kein Historiker aus dem akademischen Elfenbeinturm, sondern ein Schriftsteller, der die Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg als Zeitgenosse hautnah miterlebte und als Folge der Radikalisierung 1934 wegen seiner jüdischen Abstammung aus Österreich, das später dem Deutschen Reich "angeschlossen" wurde, emigrieren musste. Seine Bücher kamen auf die Liste der Bücherverbrennungen, er selbst auf die der verbotenen Autoren. 1942, während des Zweiten Weltkriegs, nahm er sich im fernen Brasilien das Leben, aus Verzweiflung über die Zerstörung seiner "geistigen Heimat Europa".

Dieses Einzelschicksal ist tragisch, und mit ihm verband ich seit meiner Jugend, welche schlimmen direkten und indirekten Folgen hohe Inflation im Extremfall haben kann. Vielleicht blicke ich deshalb so sorgenvoll auf die jüngsten Inflationszahlen in Deutschland. 3,1 Prozent betrug die Jahresrate 2021, mithin der höchste Wert seit 1993. Die 5,3 Prozent aus dem Dezember bedeuten sogar den höchsten Stand seit Juni 1992, also seit fast 30 Jahren.

Niemand kann seriös prognostizieren, ob die Inflationsrate dauerhaft hoch bleiben wird oder "nur" vorübergehend, und ob mit Letzterem Monate oder Jahre gemeint sind. Ich kann das ebenso wenig wie Hyperinflations-Propheten oder Notenbankerinnen. Was für mich aber unstrittig ist: Hohe Inflationsraten sind auch deshalb gefährlich, weil sie, siehe Stefan Zweig, das Vertrauen in staatliche und überstaatliche Institutionen massiv untergraben können. Deshalb sollten sich Notenbanker und Politiker meines Erachtens gut überlegen, ob sie dieses noch vorhandene Vertrauen leichtfertig aufs Spiel setzen wollen, indem sie Inflationsgefahren herunterspielen und die Hände in den Schoß legen. Der Höhenflug vieler Kryptowährungen scheint mir in vielerlei Hinsicht ein Spiegelbild schwindenden Vertrauens in von Notenbanken ausgegebenes Geld zu sein.

Die Angst vor hoher Inflation ist übrigens keineswegs ein ausschließlich deutsches Phänomen, auch wenn die Deutschen wegen der Hyperinflation 1923, die die Weimarer Republik bis ins Mark erschütterte und der Machtübernahme Hitlers den Boden bereitete, besonders sensibel sind. Bilder dieser Zeit, auf denen Kinder mit Geldscheinen spielerisch Türme bauen oder Erwachsene den Ofen heizen, gehören hierzulande zum kollektiven Gedächtnis. Doch auch im Ausland blicken viele mit Sorgen auf die hohe Inflation. Sie befürchten, dass eine ausufernde Geldentwertung und der allzu sorglose Umgang mit ihr die gesellschaftliche Spaltung weiter vertieft.

Neuere akademische Studien legen nahe, dass Bürger konkrete Sündenböcke für die hohe Inflation suchen und diese eher beim politischen Gegner finden statt im eigenen Lager. Dann betrachten sie eben je nach Zugehörigkeit einmal die Großkonzerne, dann wieder die Protagonisten der gegnerischen Parteien oder eben die Notenbankpräsident(inn)en als Schuldige. Rationale Argumente, wie z. B. unterbrochene Lieferketten, knappe Frachtkapazitäten, Produktionsengpässe oder die (teils auch politisch gewollte) Verteuerung von Energie- und Rohstoffkosten, werden dagegen fast nur von Experten genannt.

Meines Erachtens wären die Notenbanken gut beraten, entschieden und rechtzeitig gegen die Entstehung hoher Inflationsraten vorzugehen. Es nicht zu tun, könnte ein Spiel mit dem Feuer sein, das den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gefährdet und radikalen Kräften nützt. Und schon gar nicht sollten staatliche und überstaatliche Institutionen wie die Europäische Zentralbank den Eindruck erwecken, sie würden eine hohe Inflation insgeheim begrüßen oder sogar befördern. Konsequentes und frühzeitiges Gegensteuern mag nicht immer populär sein, auch nicht bei allen Finanzmarktakteuren, ist aber langfristig wahrscheinlich das kleinere Übel.

von: Christoph Frank, 10. Januar 2022, © pfp Advisory

Christoph Frank ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Roger Peeters steuert der seit über 25 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow ( WKN DWSK62 ), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds, sowie den im August 2021 gestarteten pfp Advisory Aktien Mittelstand Premium ( WKN A3CM1J ). Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Frank schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.

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