Suezkanal: Blockade kostet laut Hochrechnung der Allianz 6 bis 10 Milliarden Dollar pro Woche – Chemiebranche fürchtet Unterbrechung der Lieferketten

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Keine Entwarnung im Suezkanal: Trotz fortlaufender Bemühungen von Schlepperbooten und anderem Gerät kan der seit Tagen festgesetzte Frachter noch nicht freigelegt werden. Der nächste Versuch, das Containerschiff zu bewegen, soll am Abend unternommen werden, teilte das Seefahrts- und Logistikunternehmen GAC am Freitag auf seiner Internetseite mit.

Nach Angaben der Suezkanal-Behörde ist derzeit ein Baggerschiff dabei, 15.000 bis 20.000 Kubikmeter Sand abzusaugen, um den Frachter freizulegen. Die ägyptische Behörde wird dabei von einem unternehmen aus den Niederlanden unterstützt.

Seit Dienstag blockiert die 400 Meter lange „Ever Given“ den Suezkanal, eine der wichtigsten Wasserstraßen der Welt. Das unter der Flagge Panamas fahrende Containerschiff war wegen eines Sandsturms auf Grund gelaufen. Der japanische Eigentümer hofft, den Frachter an diesem Wochenende freizubekommen. Das Unternehmen entschuldigte sich für den Vorfall.

6 bis 10 Milliarden Dollar Kosten pro Woche

Die Blockade des Suezkanals bedeutet für den Welthandel nach Schätzung der Allianz Einbußen von 6 bis 10 Milliarden Dollar pro Woche. 2019 seien durch den Kanal 1,25 Millionen Tonnen Fracht befördert worden, 13 Prozent des gesamten Welthandelsvolumens, schreiben die Volkswirte der Allianz in einer am Freitag veröffentlichten Analyse. „Insbesondere wird dieser Zwischenfall zu Lieferverspätungen von Alltagsprodukten für Verbraucher weltweit führen“, prophezeit Deutschlands größter Versicherer.

Nach Einschätzung der Allianz verschärft der Stau im Suezkanal das Problem der Lieferverspätungen und -unterbrechungen im Welthandel. Knappheit an Halbleitern und anderen Produkten seit Jahresbeginn könnten für den Welthandel Einbußen von 230 Milliarden Dollar beziehungsweise 1,4 Prozent bedeuten. Die Auswirkungen in dieser Hinsicht seien für Europa vergleichbar mit dem Frühjahr 2020 – der Zeit des ersten Corona-Lockdowns – und für die USA noch erheblich schlechter.

Es wird noch dauern

Nach Einschätzung des niederländischen Bergungsunternehmens Boskalis, das Ägypten unterstützt, ist ein Erfolg in kurzer Zeit nicht möglich. Neben den Baggerarbeiten soll Brandstoff abgepumpt und damit das Gewicht des Schiffes verringert werden, wie ein Sprecher des Unternehmens der niederländischen Agentur ANP sagte. Demnach spiele beim Baggern auch die Art des Bodens eine Rolle. „Bei lehmartigem Boden kann man graben, so viel man will, aber der Boden daneben bleibt stehen.“ Sand könne dagegen weggespült werden.

Die Schifffahrt auf dem Kanal ist bis auf weiteres eingestellt. Dadurch hat sich ein langer Stau gebildet. Nach Information der dänischen Reederei Mærsk stecken knapp zweihundert Schiffe in beiden Richtungen fest. Nach GAC-Angaben sind wegen des Staus die Ankerplätze um die Stadt Suez bereits überfüllt.

Angst vor Piraten

Der Verband Deutscher Reeder (VDR) hält die Sorge vor Piraterie bei Umwegen für übertrieben. Die Umleitung um das Kap der guten Hoffnung würde Schiffe eher nicht in Risikogebiete führen, sagte Verbandssprecher Christian Denso der Deutschen Presse-Agentur. Nach unbestätigten Medienberichten sollen sich Schifffahrtsunternehmen aus mehreren Ländern wegen einer potenziell erhöhten Pirateriegefahr für umgeleitete Schiffe an die US-Marine gewandt haben.

Deutschlands Maschinenbauer spüren Engpässe vor allem bei Lieferungen von elektronischen Bauteilen wie Halbleitern aus Asien bereits ohne Stau im Suezkanal, wie der Branchenverband VDMA mitteilte. Die Blockade könne die Situation weiter verschärfen. Mit Auswirkungen rechnet VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiechers aber erst in einigen Tagen.

Die deutsche Industrie fürchtet Versorgungsengpässe. „Bereits stockende maritime Lieferketten zwischen Asien und Europa drohen vollständig zum Erliegen zu kommen“, teilte der Vize-Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Holger Lösch, mit. Eine Umleitung der Schiffe um Afrika herum dauere eine Woche länger und sei extrem teuer.

Ölpreis nicht so stark betroffen

Tanken und Heizöl-Kaufen wird durch den Stau der Schiffe am Suezkanal nach Angaben der Mineralölwirtschaft nicht teurer. „Der Ölpreis hatte nur bei Bekanntwerden der Havarie kurz angezogen, um dann wieder zu sinken“, hieß es vom Mineralölwirtschaftsverband (MWV). Öllieferungen aus dem Nahen Osten machten mit zuletzt sechs Prozent den kleinsten Teil der Versorgung in Deutschland aus. „Mit Versorgungsknappheiten in Europa ist daher nicht zu rechnen.“

Chemiebranche macht sich mehr Sorgen

Die Blockade trifft jedoch die deutsche Chemie- und Pharmabranche. „In der Chemieindustrie und bei ihren industriellen Kunden sind momentan die Lieferketten aus Asien unterbrochen“, sagte Henrik Meincke, Chefvolkswirt des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), am Freitag in Frankfurt. Dadurch komme es zu Engpässen bei wichtigen Vorprodukten. „Auch die Chemienachfrage in Europa wird negativ beeinflusst. Sollte es am Wochenende nicht gelingen den Suezkanal wieder frei zu bekommen, wird sich die Lage deutlich verschlechtern“, sagte Meincke.

Der Suezkanal ist für die Chemie- und Pharmaindustrie wichtig: Rund 16 Prozent der Chemieimporte kommen laut VCI per Schiff durch die Wasserstraße, zugleich gehen 18 Prozent der deutschen Chemieexporte durch den Suezkanal nach Asien. Die Störung komme zu einem schlechten Zeitpunkt, da die Kapazitätsauslastung der Branche aktuell hoch sei. Entsprechend stark sei der Bedarf an Lieferungen aus Asien. Wegen der Corona-Pandemie seien Lieferketten ohnehin unter Druck.

onvista/dpa-AFX

Titelfoto: donvictorio / Shutterstock.com

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