Ein niedriges einstelliges KGV? Diese Unternehmen schaffen das

Bernd Schmid · Uhr

Die Bewertungen an den Aktienmärkten befinden sich trotz historischer Einschnitte in die Weltwirtschaft wieder in der Nähe ihrer Allzeithochs. Gute Unternehmen zu fairen Bewertungen zu finden ist wieder so schwierig wie zu Jahresanfang.

Ordentliche Unternehmen zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 3x oder gar noch niedriger ‒ völlig utopisch für uns Börsianer. Am Markt für kleinere, private Unternehmen aber offenbar durchaus drin. Was für uns völlig surreal klingt, ist für MBB und S&T nämlich Realität. Aber kann das wirklich sein? Oder ist da etwas faul?

Ich habe mir die Zahlen etwas genauer angeschaut. Dabei gehe ich gleich etwas ins Detail. Wem das zu viel ist, der kann für die Auflösung auch direkt zum Fazit springen.

S&T und seine Übernahme von BASS zu einem KGV von 3x

Im August 2019 übernahm S&T die Mehrheit des moldawischen IT-Dienstleisters BASS Systems. Das machte die S&T zum führenden IT-Anbieter in dem südosteuropäischen Land. Insgesamt zahlte man für eine Mehrheitsbeteiligung von 51 % eine Summe von 13 Mio. EUR.

S&T bewertete BASS Systems also mit 13 Mio. EUR/51 % = 25,5 Mio. EUR.

So weit, so gut.

Was mich verblüffte, war, dass dem Einzelabschluss von S&T zu entnehmen ist, dass BASS Systems im Jahr 2018 einen Gewinn von fast 8,6 Mio. EUR erwirtschaftet hatte (zuerst gesehen von Lukas Spang, @l_m_s15). Zieht man die Bewertung von 25,5 Mio. EUR heran, entspricht das einem KGV von sage und schreibe 3x.

Als ich diese Zahl sah, dachte ich sofort: „Das kann nicht sein, da stimmt etwas nicht.“ Verrechnet habe ich mich jedenfalls nicht. Auch an einer zu hohen Schuldenlast kann es nicht gelegen haben, die Forderungen und Verbindlichkeiten von BASS hielten sich laut S&T-Geschäftsbericht des Jahres 2019 die Waage.

In diesem Geschäftsbericht steht allerdings versteckt auch das Ergebnis von BASS Systems aus dem Jahr 2019. S&T gibt dort nämlich an, dass BASS seit dem Zeitpunkt der Übernahme rund 1,1 Mio. EUR zum Ergebnis von S&T beitrug ‒ und dass dieser Betrag rund 3,9 Mio. EUR höher gewesen wäre, wenn BASS schon zum 1. Januar übernommen worden wäre.

Im Jahr 2019 erwirtschaftete BASS also offenbar einen Gewinn von 1,1 Mio. EUR + 3,9 Mio. EUR = 5 Mio. EUR. Das würde einem KGV von 5,1x entsprechen. Immer noch eine Bewertung, die man derzeit an der Börse sicher nicht für ordentliche Unternehmen zahlt.

Vielleicht liegt da der Hund begraben? Immerhin schrumpfte der Gewinn von BASS Systems von 2018 auf 2019 offenbar um mehr als 40 %. Sollte das ein anhaltender Trend sein, zum Beispiel weil ein lukratives Großprojekt gerade am Auslaufen war, dann erscheint der Kaufpreis schon in einem anderen Licht.

Was bei BASS Systems auch auffällt, ist, dass die kurzfristigen Verbindlichkeiten (rund 16,6 Mio. EUR) praktisch identisch sind mit den Forderungen aus Lieferungen und Leistungen plus den liquiden Mitteln (ebenfalls 16,6 Mio. EUR).

Das muss per sé nichts Schlechtes sein. Verwaltet man diese Posten jedoch schlecht, kann es schnell sein, dass man zahlungsunfähig wird ‒ selbst als sonst hochprofitables Unternehmen wie BASS Systems im Jahr 2018 und 2019.

Den Angaben im S&T-Geschäftsbericht ist das zwar nicht zu entnehmen. Aber das könnte eine weitere nachvollziehbare Erklärung für den auf den ersten Blick doch sehr geringen Kaufpreis sein.

Aber S&T ist nicht das einzige Unternehmen, das es jüngst geschafft hat, Übernahmen zu solch niedrigen Preisen zu tätigen. MBB ist möglicherweise ein noch besserer Deal gelungen.

MBB und die Übernahmen von Vorwerk und Bohlen & Doyen

Mitte 2019 übernahm MBB 60 % der Anteile an dem führenden Anbieter im Bereich des Pipeline- und Anlagenbaus für Gas- und Stromnetze Friedrich Vorwerk. Der Kaufpreis für diese Anteile betrug rund 17,7 Mio. EUR. Das entspricht einer Bewertung des gesamten Unternehmens von rund 29 Mio. EUR.

Jetzt kommt eine auf den ersten Blick verwirrende Zeile zu dieser Übernahme aus dem Geschäftsbericht 2019 von MBB:

Wären die Unternehmen bereits Anfang des Jahres 2019 in den Konzern einbezogen worden, wären nach Hochrechnungen Umsatzerlöse in Höhe von 172.611 T€ und ein Gewinn in Höhe von 21.191 T€ (vor nicht beherrschenden Anteilen) aus diesen Unternehmen im Konzernabschluss enthalten. [Hervorhebung durch den Autor]

Ein Gewinn von rund 21 Mio. EUR 2019, für den man insgesamt 29 Mio. EUR bezahlte ‒ was einem KGV von 1,4x entspricht?

Bevor ich darauf zurückkomme, ein Blick auf die auf den ersten Blick noch verwirrendere Übernahme von Bohlen & Doyen durch Friedrich Vorwerk kurz darauf. Friedrich Vorwerk übernahm 100 % der Anteile für 5,3 Mio. EUR.

Zu dieser Übernahme schreibt MBB im Geschäftsbericht, dass „nach Hochrechnungen Umsatzerlöse in Höhe von 104.354 T€ und ein Gewinn in Höhe von 8.971 T€“ im Konzernabschluss von MBB enthalten wären, wenn Bohlen & Doyen bereits seit Anfang 2019 Teil von MBB gewesen wäre.

Ein Gewinn von rund 9 Mio. EUR bei einem Kaufpreis von 5,3 Mio. EUR ‒ ein KGV von 0,6x?

Der erste Gedanke, wenn man so etwas sieht: Hier stimmt doch etwas nicht, irgendetwas muss hier faul sein!

Allerdings ist an dieser Sache nichts faul. Auch die Verschuldung der übernommenen Unternehmen ist nicht der Grund: Sowohl Friedrich Vorwerk als auch Bohlen & Doyen hatten zum Zeitpunkt der jeweiligen Übernahme ein sogar beachtliches Nettovermögen.

Auch kann man davon ausgehen, dass die Angaben zu den für MBB hypothetischen Gewinnen 2019 der Übernahmen im Geschäftsbericht korrekt sind.

Aber KGVs von 0,6 oder 1,4 können doch unmöglich realistisch sein, oder? Ja und nein.

Ja, weil es in diesen Fällen in der Tat so zu sein scheint.

Nein, und das ist die Auflösung, weil in diesen Gewinnen sehr große Einmaleffekte enthalten sind. Die eigentliche operative Profitabilität von Friedrich Vorwerk und Bohlen & Doyen vor der Übernahme war nämlich eine ganz andere.

Den im Bundesanzeiger einsehbaren Jahres- bzw. Konzernabschlüssen kann man entnehmen, dass Friedrich Vorwerk im Jahr 2018 „nur“ einen Gewinn von rund 8,4 Mio. EUR erwirtschaftet hatte. Und darin waren auch noch fast 6,2 Mio. EUR „sonstige betriebliche Erträge“ enthalten. Im Jahr 2017, als dieser Posten deutlich kleiner war, hatte der Konzernjahresüberschuss „nur“ rund 2,6 Mio EUR betragen. Zieht man dieses Ergebnis zur Berechnung des KGVs heran, kommt man auf ein KGV von rund 11x.

Noch deutlicher ist die Sache bei Bohlen & Doyen. Aus den Jahresabschlüssen der übernommenen Unternehmen erkennt man nämlich keine Gewinne, sondern insgesamt sogar relativ hohe Verluste ‒ im Jahr 2018 betrug das Ergebnis nach Steuern insgesamt mehr als -11 Mio. EUR. Damit erübrigt sich auch die Berechnung eines KGVs.

Fazit

Sowohl S&T als auch MBB schaffen etwas, das uns Privatanlegern an der Börse wohl niemals gelingen wird. Sie übernehmen teilweise Unternehmen zu Preisen, die so niedrig sind, dass die im Konzernabschluss ausgewiesenen Gewinne aufgrund dieser Übernahmen schon fast den Kaufpreis wettmachen.

Im Falle von Bohlen & Doyen ist es sogar noch extremer, wo der im ersten Konsolidierungsjahr zusätzliche Gewinn aufgrund der Übernahme voraussichtlich sogar höher ist als der für die Übernahme bezahlte Preis.

Das liegt allerdings weder daran, dass MBB und S&T die Verkäufer ganz besonders über den Tisch gezogen hätten, noch dass die Verkäufer dem Käufern einfach einen Freundschaftsdienst erwiesen und ihre Anteile zu einem Spottpreis einfach herschenkten. Denn vor allem im Falle der MBB-Übernahmen waren die eigentlichen operativen Gewinne der übernommenen Unternehmen in den Jahren vor der Übernahme deutlich niedriger als die Gewinne, die MBB im ersten Konsolidierungsjahr ausweisen darf. Im Falle von Bohlen & Doyen stehen sogar sehr hohe Verluste zu Buche.

Es sind also vielmehr Sondereffekte, die hier eine Rolle spielen. Besonders bei den MBB-Übernahmen dürften Einmaleffekte vor allem aufgrund der Tatsache resultieren, dass das erworbene Nettovermögen geringer war das der Kaufpreis (wie das geht bzw. was die bilanziellen Folgen daraus sind ist allerdings Thema für einen eigenen Artikel. Schlecht für MBB ist es auf jeden Fall nicht).

Das soll allerdings auf keinen Fall die Leistung der Managementteams von MBB und S&T schmälern oder gar in ein schlechtes Licht rücken. Sogar im Gegenteil: Diese Übernahmen erscheinen mir auch auf den zweiten Blick nicht nur als sinnvolle Ergänzungen. Diese Sondereffekte sind immerhin reale Effekte, die realen Wert für die Aktionäre schaffen. Und auch diese Sondereffekte herausgerechnet erscheinen mir die Kaufpreise durchaus nicht unattraktiv.

Aber selbst wenn wir Privatanleger wohl niemals selbst solche Schnäppchen machen werden. Wir können immerhin in Unternehmen investieren, die dies können ‒ und als Aktionäre indirekt davon profitieren.

Offenlegung: Bernd Schmid besitzt keine der erwähnten Aktien. The Motley Fool empfiehlt MBB und S&T.

Foto: solarseven / Shutterstock.com

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