Vorfahrt für Haushalt 2023 - Lindner sieht ab 2024 starken Sparzwang

- von Christian Krämer und Holger Hansen
Berlin (Reuters) - Die Bundesregierung will in der schwelenden Haushaltskrise nächste Woche zumindest das Budget für 2023 neu aufstellen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) signalisierte in einer am Freitag verbreiteten Video-Botschaft zudem, dass es auch schnell Beschlüsse zum Etatentwurf 2024 geben soll, der seit dem weitreichenden Urteil des Verfassungsgerichts auf Eis liegt. Finanzminister Christian Lindner schwor die Ampel-Koalition seiner FDP mit SPD und Grünen auf einen harten Sparkurs ab nächstem Jahr ein, während diese auf höhere Ausgaben dringen.
Scholz sagte, die nötigen Entscheidungen würden nicht auf die lange Bank geschoben. Es werde vielmehr noch in diesem Jahr daran gearbeitet, dass Bundesregierung und Bundestag alle Beschlüsse zum Haushalt 2024 schnell treffen könnten. Staatliche Hilfen in besonderen Notlagen seien weiter möglich, wie etwa zur Dämpfung der Energiepreise. Am Dienstag will Scholz dazu im Bundestag eine Regierungserklärung abgeben. Ziel bleibe, das Land zu modernisieren und die Industrie in Deutschland zu erhalten.
Der geplante Nachtragshaushalt für 2023 soll Anfang kommender Woche vom Kabinett verabschiedet werden, wie Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt sagte. Denkbar ist dies Experten zufolge im schriftlichen Umlaufverfahren. Der Bundestag soll dann bereits nächste Woche am Freitag in erster Lesung darüber beraten.
Mit dem Nachtragshaushalt wird die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse erneut und bereits das vierte Jahr in Folge ausgesetzt, wie Scholz bestätigte. So verschafft sich die Ampel die Möglichkeit, die ohnehin geplante Neuverschuldung deutlich zu erhöhen. Dabei geht es nach Angaben aus dem Finanzministerium um einen zusätzlichen Betrag von etwa 45 Milliarden Euro, der vor allem die Ausgaben des Energie-Krisenfonds WSF auf eine andere Grundlage stellen soll. So will die Bundesregierung die Konsequenz aus dem Urteil des Verfassungsgerichts ziehen, das die Übertragung von 60 Milliarden Euro alter Notlagen-Kredite in den Klimafonds für verfassungswidrig erklärt hatte. Das Urteil von vergangener Woche hat auch Folgen für den WSF, den die Regierung 2022 mit Kreditermächtigungen von 200 Milliarden Euro ausgestattet hatte.
"ERHEBLICHER KONSOLIDIERUNGSBEDARF"
Wie die Auswirkungen auf den Haushalt 2024 sind, ist im Detail noch unklar. "Strukturelle Änderungen bei den Ausgaben sind aus meiner Sicht unausweichlich", schrieb Lindner im Kurznachrichtendienst X. "Wir haben erheblichen zusätzlichen Konsolidierungsbedarf." In einem "Handelsblatt"-Interview hatte der FDP-Chef zuvor von zweistelligen Milliardenbeträgen gesprochen, um etwa die Pläne zur Erneuerung der Infrastruktur und für Investitionen in Technologie umzusetzen. Dabei müsse man die Haushalte 2024 und 2025 zusammen betrachten. Lindner sieht Sparpotenzial im Sozialetat, was die SPD aber ablehnt.
Eine von SPD und Grünen ins Spiel gebrachte Reform der Schuldenbremse lehnt Lindner ab. "Die Schuldenbremse ist geltendes Verfassungsrecht. Sie ist gerade gestärkt worden." Es fehle im Bundestag auch die notwendige Zweidrittelmehrheit für Änderungen. Scharfe Kritik an der Schuldenbremse kam von den Grünen bei ihrem Parteitag in Karlsruhe: "Mit der Schuldenbremse, wie sie ist, haben wir uns freiwillig die Hände auf den Rücken gefesselt und ziehen in einen Boxkampf", sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Donnerstagabend.
Trotzdem lehnt eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger eine Lockerung der Schuldenbremse ab. Nur 35 Prozent sind dafür, 61 Prozent wollen aber keine Änderungen, wie aus dem ZDF-Politbarometer hervorgeht. Die nach dem Urteil fehlenden 60 Milliarden Euro im Klimafonds KTF sollen laut der Umfrage, die auf einer Erhebung der Forschungsgruppe Wahlen basiert, vor allem durch Ausgabenkürzungen aufgebracht werden. Dafür plädieren 57 Prozent. Elf Prozent sind für Steuererhöhungen, 23 Prozent für zusätzliche Schulden.
Lindner versetzte unterdessen den langjährigen Haushalts-Staatssekretär Werner Gatzer zum Jahresende in den einstweiligen Ruhestand. Sein Nachfolger werde der Leiter der Grundsatzabteilung, Wolf Reuter, teilte das Ministerium mit. Die Altersgrenze hätte der 65-jährige Gatzer - bekannt als "Mister Haushalt" - erst Ende 2024 erreicht. Unter Gatzer wurde im Finanzministerium auch das Vorhaben vorbereitet, mit dem die Regierung jüngst vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe krachend gescheitert war.
(Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)