Draghi will Marshallplan für EU-Investitionen - Finanzierung umstritten

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Brüssel/Berlin (Reuters) - Der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi fordert von der EU Reformschritte in historischem Ausmaß, um wirtschaftlich mit Wettbewerbern wie den USA und China mithalten zu können.

In einem am Montag vorgelegten Bericht im Auftrag der EU-Kommission verlangt der Italiener einen Dreiklang aus einer koordinierten Industriepolitik, schnelleren Entscheidungswegen und massiven Investitionen. In dem Bericht beziffert Draghi für die EU einen Bedarf von zusätzlichen Investitionen in Höhe von 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr. Dies entspricht bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU. Das sei weit mehr als die ein bis zwei Prozent, die im Marshallplan zum Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg vorgesehen waren.

Möglicherweise seien für die Investitionsinitiative neue gemeinsame Finanzierungsquellen erforderlich, heißt es in dem Bericht, der als Beispiele Investitionen in die Verteidigung und das Energienetz nennt. Bei Bundesfinanzminister Christian Lindner stoßen Teile der Vorschläge auf Skepsis: "Mit einer gemeinsamen Schuldenaufnahme durch die EU lösen wir die strukturellen Probleme nicht. Mehr Staatsschulden kosten Zinsen, schaffen aber nicht zwingend mehr Wachstum", erklärte der FDP-Politiker. Vor allem dürfe die Verantwortung der EU-Mitglieder für die eigenen Staatsfinanzen nicht weiter verwischt werden: "Die Vergemeinschaftung von Risiken und Haftung schafft demokratische und fiskalische Probleme. Deutschland wird dem nicht zustimmen."

Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte mit Blick auf Instrumente gemeinsamer Verschuldung, der Bericht müsse erst sorgfältig ausgewertet werden. Zugleich verwies er auf verfassungsrechtliche Vorgaben, die der Bundesregierung in diesem Zusammenhang gemacht worden seien. Im EU-Vertrag gibt es eine Nichtbeistands-Klausel, wonach ein Staat nicht für die finanziellen Verbindlichkeiten eines anderen gerade stehen darf. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen Bezug genommen. Die gemeinsamen Schulden in der EU für den Corona-Wiederaufbaufonds verstoßen aber nicht gegen das Grundgesetz. Die Karlsruhe Richter betonten 2022 den Ausnahmecharakter.

Die Entscheidungsprozesse der EU sind laut dem Bericht komplex und träge. Es bestehe Reformbedarf. Draghi schlägt vor, die sogenannte qualifizierte Mehrheitsentscheidung - bei der es nicht notwendig ist, dass eine absolute Mehrheit der Mitgliedstaaten dafür stimmt - auf mehr Bereiche auszuweiten. Als letztes Mittel soll es gleichgesinnten Ländern erlaubt werden, bei manchen Projekten eigene Wege zu gehen.

ABHÄNGIGKEITEN VERRINGERN

Laut Draghi hat die EU nach dem Verlust des Zugangs zu billigem russischem Gas mit höheren Energiepreisen zu kämpfen und kann sich nicht länger auf offene ausländische Märkte verlassen. Die EU müsse Innovationen ankurbeln, die Energiepreise senken und gleichzeitig die grüne Transformation vorantreiben. Zudem gelte es, die Abhängigkeit von anderen Ländern, insbesondere von China bei wichtigen Mineralien, zu verringern und die Investitionen in die Verteidigung zu erhöhen.

"Die Vorschläge von Mario Draghi geben wichtige Impulse, um die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken", erklärte DIHK-Präsident Peter Adrian. Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) stieß ins selbe Horn: "Die EU muss ihren Fokus auf den Ausbau ihrer Wettbewerbsfähigkeit legen; das fordern wir schon lange", erklärte BGA-Präsident Jandura. Aber um wirklich einen Neustart zu erreichen, müssten auch die "Bürokratiesünden" der letzten fünf Jahre zurückgenommen werden.

Eine solide gemeinsame Finanzierung der Industriepolitik zum Beispiel aus dem Haushalt der EU sowie über die Europäische Investitionsbank im Dienst der Resilienz, Transformation und Innovation sei notwendig, erklärte BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner. Auch die Mitgliedstaaten seien gefordert, mehr denn je die öffentlichen Investitionen und die Fördermaßnahmen gleichermaßen an diesen Zielen auszurichten und die erkennbaren Lücken zwischen beschlossenen Zielen und zur Verfügung gestellten Mitteln wieder zu schließen."

Das Wirtschaftswachstum in der EU war in den letzten beiden Jahrzehnten durchweg langsamer als in den USA, und China vollzog einen rasanten wirtschaftlichen Aufstieg. Der Rückstand Europas war zum großen Teil auf die geringere Produktivität zurückzuführen.

(Bericht von Philip Blenkinsop;geschrieben von Reinhard Becker; Mitarbeit Andreas Rinke, Christian Krämer und Maria Martinez. Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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