Die Zukunft des Finanz-Sektors: Krypto-Experte Antonopoulos: „Banken werden zwischen dezentralen Kryptowährungen und Unternehmens-Coins zerquetscht werden“ – Wer wird das Rennen machen?

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Die Aktien der Deutschen Bank haben am Freitag mit 5,777 Euro einen weiteren historischen Tiefstand erreicht. Analog zum europäischen Branchenindex Stoxx Europe 600 Banks tauchten sie im Tagesverlauf stark ab, doch konnten sie sich zumindest kurzfristig wieder stark erholen und sind mit einem Plus von 4,7 Prozent bei einem Wert von 6,16 Euro ins Wochenende gegangen. Die Commerzbank hatte in dieser Woche ebenfalls einen neuen Tiefststand erreicht.

Der europäische Bankensektor hatte bereits am Dienstag ein mehrjähriges Tief erreicht und dies im Laufe der Woche immer wieder angetestet. Tiefer stand er zuletzt nur nach der Euro-Krise im Jahr 2012. Die Banken, die in dem Index aufgelistet sind, sind in den letzten Jahren um 45 Prozent gefallen. Zum Vergleich: Der auf Banken in den USA fokussierte KBE-Bank-ETF hat im selben Zeitraum ein Plus von 86 Prozent hingelegt.

Der europäische Banken-Sektor konnte sich seit der Finanzkrise 2008 nicht wirklich erholen


Händler verwiesen zur Begründung der Kursdelle bei der Deutschen Bank auch auf den „kleinen Verfallltag“ am Freitag, der immer wieder für kurzzeitig stärkere Schwankungen bei den betreffenden Wertpapieren oder Indizes sorgt. Am kleinen Verfallstag, der an jedem dritten Freitag eines Monats stattfindet, verfallen an den Terminbörsen Optionen auf Aktien und Indizes.

Die Marktlage ist für den Banken-Sektor fatal

Am Markt dominieren unverändert konjunkturelle Risiken. Nicht zuletzt wegen der globalen Handelsstreitigkeiten dürften die großen Notenbanken die Leitzinsen niedrig halten – oder die Geldpolitik sogar noch mehr lockern. Niedrige Kapitalmarktzinsen erschweren den Geldhäusern die Geschäfte im Handel mit festverzinsten Wertpapieren, eine schwache Konjunktur bremst zudem die Kreditnachfrage. Auch drohen im Falle einer Konjunkturkrise vermehrt Ausfälle von bereits vergebenen Krediten.

Bundesanleihen beispielsweise werfen mittlerweile über alle Laufzeiten hinweg negative Renditen ab. Selbst Papiere mit 30 Jahren Laufzeit rentieren mittlerweile im Minus. Volkswirt Norbert Wuthe von der Bayerischen Landesbank begründete dies auch mit den Sorgen von Investoren über eine Abwertungsspirale im globalen Devisenhandel und mit dem Bruch der Regierungskoalition in Italien. Hinzu kommen die ausufernden politischen Proteste in Hongkong, die bereits wirtschaftlichen Schaden anrichten.

Dem europäischen Bankensektor geht es schlechter als dem amerikanischen

Im internationalen Vergleich haben die amerikanischen Banken bisher noch die Nase vorn. Die US-Großbanken haben im letzten Quartal größtenteils steigende Gewinne vermeldet. Eines hatten aber alle Banken gemeinsam: Die Gewinnsteigerung kam vornehmlich aus dem Privatkundengeschäft, während die Investmentsparte bei allen eine schlechte Performance gezeigt hat. Angesichts einer drohenden weiteren Zinssenkung durch die Zentralbanken ist aber die Gewinnmarge der Banken, die sie durch den Zinsüberschuss erzielen, in Gefahr. Das ist der Gewinn, denn sie durch das Vergeben von Krediten zum Beispiel im noch gut laufenden Privatkundengeschäft erwirtschaften.

In Europa sieht dieses Bild noch einmal ernster aus, da die Zinsen hier bereits seit Jahren auf Null stehen und die Großbanken unter Druck setzen. Die Gewinne des Sektors lagen im zweiten Quartal um 7 Prozent unter denen des Vorjahres. Viele Experten nannten das anhaltend niedrige Zinsniveau der Europäischen Zentralbanken (EZB) als größtes Hindernis auf dem Weg zum Gewinn.

Bei der Deutschen Bank, die jüngst einen massiven Strukturumbau in die Wege geleitet hat, sieht man die Auswirkungen bei den Quartalszahlen, der Aktien-Entwicklung und den eingeleiteten drastischen Maßnahmen bereits deutlich. Laut einer Analyse von Marktbeobachtern der Citibank befinden sich deutsche Kreditgeber in einer einzigartig gefährlichen Position selbst im Vergleich zu ihren europäischen Kollegen. Eine Kombination aus struktureller Verwundbarkeit und wirtschaftlicher Schwäche im Inland lässt die Aussichten für deutsche Banken umso trüber werden.

Citi-Analyst Ronit Ghose sieht in Europa einzig die Banken in Skandinavien und der Benelux-Region als vergleichsweise gut aufgestellt, wie er gegenüber dem Nachrichtendienst CNBC sagt: „In den letzten 10 Jahren haben sie Filialnetzwerke halbiert, die Anzahl der Mitarbeiter reduziert und dies aus zwei Gründen getan: Sie haben flexible Arbeitsmärkte und sie haben intelligente Management-Teams. Sie sind zukunftsweisend und haben die Digitalisierung und Umstrukturierung gut genutzt “, sagte er.

Italienische Banken mussten kürzlich Kursverluste hinnehmen, nachdem die Lega-Partei von Matteo Salvini die Regierungskoalition gekippt hat. Ghose sagte gegenüber CNBC, dass die deutschen Kreditgeber aus Rentabilitätssicht jedoch eine viel schlechtere Position als ihre italienischen Kollegen haben. „Die italienischen Banken haben ihre Bilanzen wie die spanischen Banken bereinigt. Die Deutschen werden nächstes Jahr eine Eigenkapitalrendite (ROE) von maximal 2-3 Prozent erzielen, und dieses Jahr wird es noch schlimmer sein “, sagte er.

Und auf ganz lange Sicht?

Die momentane Rezessions-Angst ist sicher für den Banken-Sektor besonders schwierig, da sich die Dinge seit der letzten großen Finanzkrise 2008 nicht wirklich wieder normalisiert haben, sondern durch die Notenbanken mittels drastischer Maßnahmen in einen Zustand der Schwebe versetzt wurden. Denn: Über viele Jahre einen Leitzins von 0 Prozent zu haben, wie es in der EU der Fall ist, kann man nicht als normal bezeichnen und die bisher komplett fehlende Erholung des Banken-Index (siehe Chart oben) spricht für einen ungesunden Zustand.

Doch selbst nachdem sich die Banken aus dem jetzigen Schlamassel herausmanövriert haben sollten und mittels massiver Umstrukturierungen, wie derzeit bei der Deutschen Bank, wieder sattelfester werden, wartet bereits die nächste Herausforderung - der technologische Wandel. Und der könnte eine viel größere Hürde sogar als die momentane schwierige Lage sein, die noch durch die Geldpolitik bestimmt wird.

Bisher geben die Banken im Finanzsektor noch den Ton an, dank ihrer technologischen Vorteile und ihres Alleinstellungsmerkmals als regulierte, stark kontrollierte Institutionen, die ein hohes Maß an Sicherheit für Kapitalströme gewährleisten können. Diese Stellung wird jedoch durch neue Technologien angegriffen. Alternative Bezahldienstleister, die sich im Sektor etabliert haben, gibt es bereits. Beispiele wären Paypal, Google Pay, Geldtransfers via WeChat in Asien und so weiter. Bisher sind dies jedoch nur Modelle, die dem Finanzsystem als technologischer Zusatz hinzugefügt wurden, mit dem Ziel Transaktionen schneller, besser und bequemer für den Endverbraucher zu machen. Sie liegen sozusagen als zweite Lage über der Grundstruktur und bedrohen das Geschäftsmodell der Banken an sich nicht, da sie weiterhin für die letztendliche Aufbewahrung und Abwicklung der Geldströme benötigt werden.

Ein technologischer Wendepunkt für das Finanzsystem

Mittlerweile kommt der Finanz-Sektor jedoch an einen Punkt, an dem das derzeitige Geldsystem an sich technologisch in Frage gestellt wird. Kryptowährungen wie der Bitcoin waren der erste Vorstoß und haben sich, trotz aller Skepsis und Kritik, mittlerweile zu einem ernstzunehmenden Konstrukt entwickelt, der vieles angestoßen hat. Das jüngste und größte Beispiel ist die Offensive von Facebook. Mit dem Libra-Projekt soll ein „GlobalCoin“ auf den Markt gebracht werden, der ein Finanzsystem innerhalb des Ökosystems von Facebook entwickeln soll, in dem auch viele weitere Unternehmen angeschlossen werden können (und einige sind es bereits). Traditionelles Geld soll hier nur noch als „backup“ dienen, um die neue Währung zu decken.

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Der im Krypto-Sektor äußerst bekannte Informatiker und Blockchain-Experte Andreas Antonopoulos hat dieses Problem für die Banken jüngst in einem Video-Interview anschaulich skizziert. Seiner Meinung nach sind dezentrale Kryptowährungen vor allem dafür geeignet, all denjenigen Menschen auf dem Planeten Zugang zu einem alternativen Finanzsystem zu geben, die vom derzeitigen System ausgeschlossen werden. Er charakterisiert dezentrale Währungen wie Bitcoin als frei zugänglich, öffentlich, grenzüberschreitend, neutral, zensur-resistent, transparent und unmanipulierbar.

Unternehmens-Coins wie der von Facebook erfüllen diese Kriterien seiner Meinung nach nicht, da sie Teil von zentral geleiteten Unternehmen sind, deren Aktivitäten auf dem Markt den Gesetzen der jeweiligen Länder unterliegen, in denen sie tätig sind. Sie müssen „Know your Costumer“-Vorgaben erfüllen und können daher nur auf Kunden abzielen, die bereits Zugang zum Finanzsystem haben. Desweiteren werden sie durch Sanktionen und andere wirtschaftliche Beschränkungen beeinflusst.

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Dennoch sind sie für das Geschäftsmodell der Banken eine Gefahr, denn technologisch wollen sie dem Kunden in Zukunft ein ebenso gutes oder sogar besseres Finanztransaktionssystem anbieten, wie es die Banken jetzt tun. Zudem haben Unternehmen wie Facebook den Vorteil, sehr viel Erfahrung, Ressourcen und Strategien im Portfolio zu haben, mit denen sie den Kunden durch Marketing und eine freundlichere, bessere Nutzer-Erfahrung an ihre Produkte und Dienstleistungen binden können, als es bei den Banken der Fall ist. Diese Fähigkeit werden sie laut Antonopoulos ganz massiv nutzen, um den Kunden zu ihren neuen, technologisch bequemeren Finanzprodukte zu locken.

Das Fazit – Die Banken werden von zwei Seiten angegriffen

Zusammenfassend sieht er den Banken-Sektor von zwei Seiten bedroht. Zum einen werden dezentrale Kryptowährungen den bisher nicht am globalen Finanzsystem angeschlossenen Menschen Zugang dazu ermöglichen. Dieser Aufstieg wird auch weitere wirtschaftliche Effekte haben, beziehungsweise hat es bereits. Ein konkretes Beispiel wäre die zuletzt starke Performance des Bitcoin als alternative Fluchtwährung, auch für Akteure innerhalb des Systems, bei der jüngsten Handelsstreit-Eskalation.

Zum anderen werden Große Unternehmen wie beispielsweise Facebook, die Kunden der Banken, also diejenigen, die bereits Teil des globalen Finanzsystems sind, mit ihren eigenen Firmen-Coins in den Fokus nehmen und den Banken abstreitig machen – vor allem durch eine bessere und bequemere Nutzer-Erfahrung, gestärkt durch gutes strategisches Marketing, in dem er die Unternehmen besser aufgestellt sieht als die Banken. Facebook werden seiner Meinung nach die anderen großen Spieler wie Apple, Google und Co. nachfolgen.

Sein Fazit: „Software kommt, um die Banken-Industrie aufzufressen und sie kommt von zwei Seiten gleichzeitig. […] Die Banken werden zwischen dezentralen Coins und den Coins der Unternehmen zerquetscht werden.“

Heißt das nun, dass das Ende der Banken bevorsteht? Einerseits darf man die Auswirkungen von neuen Technologien niemals unterschätzen. Das beste Beispiel ist hier das Internet, das die Wirtschaft und die globale Gesellschaft an sich in unvorstellbarem Ausmaße verändert hat. Deswegen sollte man technologische Entwicklungen und die Auswirkungen auf ganze Wirtschafts-Sektoren immer Ernst nehmen.

Andererseits ist das Rennen noch nicht vorbei, da Technologien immer Zeit brauchen sich zu entwickeln, um wirklich den Grad an Effizienz und Nutzen zu erreichen, den sie versprechen. das heißt, das alle Akteure Zeit haben, sich anzupassen und ihre Geschäftsmodelle zu adaptieren, auch die Banken und anderen Finanz-Akteure. Die Tatsache, dass beispielsweise die US-Bank JPMorgan eine eigene Kryptowährung entwickelt hat und testet, oder die NASDAQ daran arbeitet, Krypto-Assets zu implementieren (momentan in Form eines Preistickers für Bitcoin und Ethereum), zeigt, dass solche Prozesse bereits seit längerem im Gange sind. Ein weiterer Punkt ist, dass Facebook sich massiven regulatorischen Hürden und Kritik aus verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Lagern entgegengestellt sieht und es bisher alles andere als klar ist, ob die hauseigene Kryptowährung überhaupt jemals auf den Markt kommen wird.

Das Rennen darum, wer in Zukunft den Finanzsektor bestimmt, ist noch völlig offen und hat gerade erst so richtig angefangen. Auch die Banken haben noch alle Chancen, um ihre Stellung zu behaupten. Als Investor sollte man versuchen, diese Entwicklung im Auge zu behalten und vor allem nicht nur auf einen Player zu schauen, sondern alle zu beobachten, um am Ende im optimalen Fall früh genug den richtigen auszuwählen.

Von Alexander Mayer mit Material von dpa-AFX

Titelfoto: Natali_ Mis / Shutterstock.com

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